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Keinmaerchen

Keinmaerchen

Titel: Keinmaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil
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ich will sie nicht mehr.
    Stell sie in die Luke, sagt er.
    Selbst die Katzenaugen schimmern weiß im Licht der Strahler. Die Luke schließt automatisch. Mit den Alben verschwindet die Angst. Aber nur für einen Moment. Zu kurz, um etwas anderes zu fühlen. Gut gemacht, sagt er.
    Und jetzt?, frage ich. Bin ich eingesperrt? Meine Stimme klingt trotzig.
    Bist du wütend?, fragt er. Wütend, weil du einer von vielen bist? Geh und such dir ein Stück Holz. Der nächste wird gut werden. Dein bester. Irgendwo in dem Stapel liegt er. Ganz sicher.
    Ja, sage ich. Sicher. Ich weiß, dass er dort liegt. Irgendwo in dem Holzstapel wartet er darauf, dass ich ihn finde.
     
    #
    Das Hämmern hält mich wach. Eisen auf Eisen auf Stein. Sie arbeitet an dem Alb, seit ich angekommen bin. Wann war das? Es ist schwer, die Zeit zu fassen zu bekommen. Es gibt keine Schatten unter den Augen der Strahler, keine Dunkelheit. Aber irgendwo muss es Schatten geben, wie hätte ich sonst hierher gelangen können? Wie könnte er auf die andere Seite wechseln?
    Zwischen zwei Hammerschlägen sieht sie mich an. Die Ohren sind zu groß, sage ich. Siehst du? Sie liegen noch unter der Oberfläche. Unsere Stimmen müssen dumpf in seinen Ohren klingen. Als kämen sie von weit her. Aus einem dichten Wald oder vom Grund eines Sees.
    Ihre Finger tasten den Marmor ab. Mit rauen, rissigen Fingerspitzen. Fast sehen sie aus, als wären sie auch aus Marmor geschlagen. Ja, sagt sie, du hast recht. Jetzt würde sie lächeln, wenn ein anderer Tag wäre. Zwei Schläge. Sie braucht nur zwei Schläge und das erste Ohr ist richtig.
    Der wird gut, sage ich. Richtig gut. Und jetzt würde ich lächeln, wenn nicht morgen wäre. Er ist bald fertig. Aber er ist zu groß, er wird nicht durch die Luke passen.
    Nein, sagt sie. Nein, er ist nicht zu groß und nein, er wird nicht hindurch passen. Sie hofft es, aber er wird einen anderen Weg finden, um ihn mitzunehmen. Das weiß sie. Wie heißt du?, fragt sie und ich schüttle den Kopf.
    Ja, sagt sie, das ist unwichtig. Aber manchmal wäre es schön, einen Namen zu haben. Ihre Blicke wandern über die schlafenden Gesichter. Es gibt Betten, aber die meisten schlafen dort, wo sie arbeiten. Dem kleinen Jungen klebt immer noch Knete an der Nasenspitze. Sein Alb wartet auf dem Tischchen, unter dem er sich zusammengerollt hat. Er ist so dünn. Als wäre er nur halb, sage ich.
    Ihm fehlt sein Schatten, sagt sie. Wie uns allen. Das wirst du noch merken. Sie hämmert die Augen frei. Runde, lidlose Augen, mit einer sichelförmigen Pupille.
    Mir fehlt kein Schatten, sage ich und lausche ins Weiß, das unter den Hammerschlägen zittert. Und keine Wellen. Hätte ich gewusst, wie es hier ist, ich wäre längst hindurch gegangen. Gestern.
    Der Alb ruft nach mir. Seine Angst sitzt unter der schuppigen Haut, dicht an der Oberfläche. Er hat keine Arme. Seine Flügel sind die größten, die ich je gespürt habe. Und sein Schwanz spaltet sich in zwei Enden. Er ist schön, sagt sie. Ich muss gehen, sage ich. Arbeiten.
    Ihre Fingerspitzen sind kalt. Die Haut auf meinem Arm wehrt sich gegen die Berührung und sie zieht die Hand zurück. Alice, sagt sie. Wenn ich einen Namen hätte, dann wäre er Alice. Vielleicht auch nicht. Aber Alice passt zu ihr. Alice, sage ich. Das ist ein guter Name.
     
    #
    Du hast noch nicht angefangen, sagt er.
    Nein, sage ich. Ich spüre sein Herz nicht. Ich kann es nicht orten und ich habe Angst, es kaputt zu machen. Aber ich weiß nicht, ob es meine Angst ist oder seine. Es vermischt sich. Vielleicht war es auch nie getrennt.
    Aber du musst es versuchen, sagt er. Wenn du es nicht versuchst, erstickt er. Das Holz wird ihn ersticken.
    Ich weiß.
    Der Alb zittert. An seinen Zehen wachsen gebogene Krallen. Fast wie im Zeitraffer. Ich bin besser geworden. Schneller. Das Holz vertraut mir und ich vertraue mir auch. Ich weiß, wo ich die Klinge ansetzen muss, ohne hinzusehen. Die Dunkelheit hat meine Sinne geschärft. Ich arbeite mit geschlossenen Augen. Spüre die Konturen und lausche dem Hämmern. Warum kann ich die Wellen nicht hören? Sie kamen aus den Schatten, also müssen sie hier sein. Irgendwo im Weiß der Strahler. Oder dahinter. Wenn es ein Dahinter gibt. Aber irgendwas ist immer dahinter. Hinter den geschlossenen Türen, hinter ihrem Lächeln. Ob sie bemerkt hat, dass ich weg bin? Wahrscheinlich nicht. Sie öffnet die Rollläden um halb acht und lässt sie abends wieder runter. Sie stellt mir mein Essen hin und räumt es

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