Keinmaerchen
Brillen gerade. “Ich weiß es nicht”, sagte er nach einer Weile. “Warum halten Sie das für relevant?”
“Kommt es Ihnen nicht komisch vor, dass eine Sendung gleichzeitig auf allen Kanälen gesendet wird? Der Fernsehapparat scheint auch nicht kabelfähig zu sein, die Sendung muss also terrestrisch ausgestrahlt werden. Und woher kennen Sie die Sendezeiten? Haben Sie eine Fernsehzeitung und dürfte ich die mal sehen?”
Herr Blum paffte Kringel, kratzte sich, kramte in seinen Schubladen, trank einen Schluck, kratzte sich, paffte, kramte, holte ein Taschentuch hervor, zog die obere Brille ab, putzte die Gläser, setzte sie wieder auf, atmete tief durch und sagte: “Nein.” Dann begann er seine Skizzen zu überarbeiten.
Der Junge strich sich die Haare aus der Stirn und räusperte sich, aber Herr Blum beachtete ihn nicht mehr. Das war verrückt. Alles hier war verrückt. Der Patient und seine unterschiedlichen Ichs, Herr Blum, die Fernsehsendung, die ganze Situation. Womöglich hatte der Patient recht gehabt, als er sagte, dass sich ihre Fantasiewelten gekreuzt hätten. Aber wenn das eine Fantasiewelt war, was war dann real? Er rieb sich die Stirn, hinter der es dumpf zu pochen begonnen hatte. War das Weiß real gewesen? Der Keller? Er? War überhaupt jemals irgendetwas wirklich gewesen? War er selbst es? Das Pochen schwoll zu einem Hämmern an. Bozo. Bozo war real. Niemand konnte sich eine solche Gestalt ausdenken. Niemand konnte sich ein solches Lachen vorstellen, wenn er es nicht wirklich gehört hatte. Dieses durchdringende Haha, das leise begann und sich zu einem irren Kreischen steigerte, das die Haut durchdrang, Fleisch und Knochen, sich tief in den Magen sägte und die Eingeweide zu einem schmerzenden Klumpen verknotete. Bozo war die Realität. Bozo, der Clown, Bozo, der Spaßmacher.
Erin
Bozo schmiert sich ein Butterbrot. Er kichert, kratzt sich unter der Perücke, klappt das Brot zusammen und beißt hinein. Und du möchtest wirklich nichts?, fragt er. Dabei spuckt er Brotkrumen auf den Boden und seine Latzhose.
Sein Messer liegt auf dem Tisch. Die Klinge ist schmutzig. Voller Butter, aber darunter klebt getrocknetes Blut. Was glotzt du denn so, sagt er und ich sehe zur Seite. Die Küchenschränke sind dreckig. Dunkle Fingerabdrücke. Sie hätte niemals Dreck in ihrer Küche geduldet. Bakterienalarm. Wo ist sie überhaupt? Er wird bald nach Hause kommen und sie müsste das Essen vorbereiten.
Das weißt du doch, sagt er. Seine roten Lippen glänzen fettig. Sie ist weg. Er nimmt das Messer und hackt eine dicke Scheibe Butter ab. Mir wird übel. Ich möchte in den Keller gehen. Ich zupfe an meiner Augenbinde. Sie ist plötzlich zu dünn, zu viel schimmert hindurch und tut mir in den Augen weh.
Du bist ein Vollidiot, sagt er. Er nimmt sich eine Flasche Milch aus dem Kühlschrank und trinkt gierig. Die Milch läuft ihm aus den Mundwinkeln, über die Klamotten. Er rülpst und setzt sich wieder an den Tisch, säubert sich die Fingernägel mit dem dreckigen, klebrigen Messer.
Ich beobachte ihn aus den Augenwinkeln. Seine Perücke ist dreckig, die Latzhose, die Schuhe. Und er stinkt. Das ist mir noch nie aufgefallen. Sein Geruch ist widerlich. Wie Pisse auf Schimmelkäse.
Wir warten und ich wünsche mir, dass der Mann heute nicht nach Hause kommt. Das habe ich mir schon oft gewünscht, aber heute habe ich Angst. Eine Scheißangst. Und ich weiß nicht mal, warum.
Düpdüdüdeldüdeldüdüp, summt er und wackelt mit dem Kopf im Takt.
Es klingelt. Ich starre auf meine Hände, die gefaltet auf der Tischplatte liegen, die Knöchel treten weiß hervor. Weiß.
Es klingelt noch mal.
So, sagt er und lässt das Butterfly-Messer auf und zu schnappen. Dann wollen wir mal, was?
Ich nestele an meiner Augenbinde und stecke mir die Daumen in die Ohren. Aber ich kann sein Lachen trotzdem hören.
Spaß!, ruft er. Wir wollen doch Spaß haben! Er schlägt mir auf die Stirn und boxt mir in den Bauch. Dann zieht er eine kleine Trompete aus seinen riesigen Hosentaschen und spielt eine schräge Melodie.
Es klingelt wieder und jemand schlägt an die Haustür. Im gleichen Takt, wie die Kopfschmerzen gegen meine Schädeldecke hämmern.
Los, du Langweiler, mach die Tür auf. Bozo schiebt mich in den Flur. Er hat die Trompete gegen bunte Bälle getauscht, die er mit einer Hand jongliert.
Ich bleibe vor der Tür stehen und drehe mich um, sehe in sein Clownsgesicht. Der lachende Mund ist verwischt. Es sieht aus, als hätte
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