Keks & Drugs & Rock 'n' Roll
Jahrestagsdemo
der großen AIDS Wache
versammelt haben. Ich treffe bekannte Gesichter zwischen den Zelten. Peter erkundigt sich bei mir.
„Nun, warst du in Oakland, Junge?“
„Klar, und schau mich an, keiner hat mich durchlöchert.“
Er kontrolliert tatsächlich meinen Rücken.
„Nanu, sie können da nicht mehr richtig zielen oder was? Hahaha... Ich sage es dir; Freund, du bist ein glücklicher Mensch, dass dir nichts passiert ist.“
Das glaube ich auch. Wenn ich nur an die Argusaugen der Kinder denke. Sie brennen immer noch in me inem Rücken.
Hier dagegen, sind alle vertraut. Ein Typ von irgendeiner Zeitung, möchte von mir wissen, wen ich heute auf der Schwulendemo vertrete. Er meint es nicht sexuell, sondern politisch. Aber er verdrückt sich schnell, weil er mit Selbständigen nichts anfangen kann.
Die Leute werden immer mehr. Die Mikrofone auf der Bühne werden eingestellt. Das scheint hier eine große Demo zu werden. Ein Gesicht fragt mich mit Stolz:
„Hast du schon mal so viele Schwulen zusammen gesehen?“
Ich gebe kleinlaut zu: „Noch nie.“
„Aber das, was du hier siehst, ist noch nicht alles. Wir werden heute Abend in New York City, in Houston und in vielen anderen Städten unterstützt. Ganz Amerika schaut uns jetzt zu!“
Ich weiß nicht, ob ganz Amerika jetzt hier herschaut? Aber auf dem Platz blitzen andauernd Fotoapparate und Typen rennen mit Kameras ausgerüstet hin und her, als wären wir bei einer groß angelegten Filmdreharbeit.
Auf der Bühne hält gerade ein attraktiver Oberschwuler eine zündende Rede, die die Leute elektrisiert. „Vivat! Vivat!“ rufen sie nach jedem heftigeren Wort. „So ist es! Recht hat der Mann, hehe-haha...“ lachen sie in Vierer- und Fünfergruppen. Der Redner gibt sein Bestes und spricht einfach und spontan. Daher ist seine Rede kraftvoll und glaubhaft. Er nennt jeden Teilnehmer seinen Freund, als würde er jeden persönlich ke nnen.
„Ich hätte vor einem Jahr, als wir, eine Handvoll Leute, hier in den Park zogen, nicht mal träumen können, dass wir heute so zahlreich anwesend sein werden. Aber ich denke, es ist für uns alle ein phantastisches Gefühl unseren Zusammenhalt zu spüren. Brüder! Damit haben wir bewiesen, dass wir uns nicht diskriminieren lassen. Wir geben nicht unser amerikanisches Recht auf Freiheit auf...“
„Hurra! Vivat!“ rufen die Massen.
„...Ich habe ein gutes Gefühl, wenn ich an diesen Platz denke. Es tut gut, hier zusammen zu kommen, um uns miteinander und mit allen, die die Freiheit lieben, zu unterhalten. Ich danke unseren lesbischen Schwestern und auch den linken Organisationen für ihre Unterstützung. Brüder, Schwestern, nur das wollte ich sagen.“ Damit tritt er bescheiden zur Seite und überlässt die Bühne einem Mann im Rollstuhl. Er kann sich aber nicht zurückziehen. So abgeneigt er auch ist, drücken ihn seine Freunde und die Leute, die in der Nähe stehen, an die Brust und feiern ihn wie einen Helden.
„Ach, was soll das? Es ist nichts Außergewöhnliches dran. Das Großartige ist, dass ihr mir zugehört habt.“
Und Recht hat er. Denn was ist daran wirklich so außergewöhnlich? Nichts! Aber diese guten Menschen hier brauchen auch, wie alle Gemeinschaften, Helden. Es gelingt ihm nur schwer, seine Freunde zu beschwichtigen. Oder sie hören deswegen auf, weil der AIDS-kranke Mann im Rollstuhl schon zu reden anfängt. Er ist sich über den Tod klar, der sich jeden Tag ein Stück näher an ihn heranschleicht. Aber er zeigt Stolz und Frohsinn.
„Ich weiß, dass ich bald sterben werde. Ich habe vielleicht noch ein Jahr zu leben. Aber ich habe mich damit schon abgefunden. Ich weiß auch, dass es Tag für Tag schwerer wird, heute kann ich noch allein im Rollstuhl herumfahren. Wie lange? Das weiß ich nicht. Aber eins ist wichtig, solange ich lebe, werde ich LEBEN. Mit all meiner Kraft! Leute, ich bin glücklich, mein Leben war nicht umsonst.“
In dem Publikum gehen Lichter auf. Tausende von Kerzen leuchten unter den schwachen Lampen des Parks. Hinter den feiernden Massen stehen fünf gelangweilte Polizisten in blauen Hemden, um den friedlichen Ablauf der Demo zu sichern. Aber sie brauchen nichts zu befürchten, es gibt nur die Halbstarken von der Street-Gang auf der anderen Seite des Springbrunnens , und die sind mit sich selbst beschäftigt.
Auf der Bühne müht sich jetzt ein älterer Bürgermeister-Kandidat ab, um Stimmen für die nächste Wahl zu hamstern. Er blabbert sehr allgemein
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