Keks & Drugs & Rock 'n' Roll
Er wurde von der Freundin verlassen wegen einem bis zum Oberschenkel eingegipsten Bein. Für sechs Monate. Aber jetzt verstehe ich ihn wirklich. Das, was ich hier sehe, sei die sich am dynamischsten entwickelnde Stadt der Welt. Die Einwohnerzahl liegt schon weit über einer halbe Million, und wenn es weiter so geht, überholen sie in zwei Jahren Phoenix. Sie soll außerdem ein angenehmes Klima haben...
Nachdem er mich aussetzt, kann ich selber dieses warme Klima zur Genüge genießen. Es wird auch in dieser Gegend an der Straße gebaut, so muss ich eine Weile laufen bis ich auf die „Zehn“ wieder hinauf komme. Tucson liegt endgültig hinter mir. Vor mir ist eine steinbestückte, staudige Sandlandschaft, in der sich mal hier mal dort niedrigere, schwachgrüne Bäume blicken lassen. Aber ganz vorsichtig. Eher nur Büsche überall. Die Straße verliert sich irgendwo in der buschigen Unendlichkeit.
Bei d er Auffahrt steht schon ein Typ, mit vier verschieden großen- und förmigen Gepäck, ist blond und hat ein sommersprossiges Gesicht. Es stellt sich heraus, dass er deutsch-amerikanischer Kanadier ist. Was heißt: Er ist aus Deutschland in die USA übersiedelt, aber zurzeit wohnhaft in Kanada. Dorthin möchte er auch jetzt, und zwar auf dem kürzesten Weg. Ich finde es merkwürdig, dass er überhaupt noch deutsch kann, und sich sogar freut, mit jemandem seine Muttersprache zu pflegen.
Dann stelle ich mich einige hundert Schritte von ihm entfernt auch an die Straße, und während wir in der Sonne schmoren, unterhalten wir uns weiter auf International, mit Zeichensprache. Das geht ganz einfach: Weitgeöffnete Arme zeigen; der will mich auch nicht, der hochgehobene Arm; Pass auf! Da kommt der näch ste...
Unser Pech und Glück schwingt dermaßen auf derselben Welle, dass, als er einen Lift durch einen Truck bekommt, ich auch meinen bekomme. Vielleicht zwei Minuten nach ihm.
Ein roter Ford Coupé rast in der Innenspur. Ich winke ihm sehr energisch entgegen und zeige mit dem Daumen:
„Hey, Halt! Hierher auf die Abstellspur!“
Ein ohrenbetäubendes Gequietsche, tiefe Bremsspuren auf dem heißen Asphalt, und ein blonder, hohlwangiger Kumpel hilft mir meinen Rucksack in den Wagen zu heben. Der ist schon brechend voll mit Kleidern. Ich stemme meine beiden Beine gegen das Armaturenbrett um die nach vorn geklappte Rücklehne zurückzudrücken. Ich habe noch nicht mal richtig Platz genommen, da fragt er geradeaus.
„Haste Kraut?“
„Kraut, ich? Nein! Ich rauche doch nicht“ sage ich sehr naiv. Und fange mir damit gleich einen lang anwährenden Minuspunkt ein. Er kann nicht mal verzeihen, dass ich kein Marihuana habe, obendrein noch; dass ich nicht rauche! Das ist ein Unding für ihn, ohne Gleichen. Er hat nur angehalten, weil er von mir einen Joint gewittert hatte.
Ich sitze da
und schlucke Jr.- s schlechte Laune.
Daraus macht er auch kein Hehl.
„Wenn ich bloß gewusst hätte, dass du keinen Stoff hast. Ich hätte nicht angehalten. Nun aber scheißegal. Wohin denn?“
„Nach El Paso. Kannst du mich bis dorthin mitnehmen?“
„Hm”, ist die Antwort. Dann tiefes Schweigen. Wir fahren über eine Hochebene. Berge und Flachland wechseln sich ab. Auf einem lang gezogene Gelände stehen kaum mannshohe merkwürdig gedrungene Bäume mit phantasievoll gewundenen Ästen, deren Enden mit kaktusähnlichen Blättern geschmückt sind. Sandig steiniger Boden, mit wenig Vegetation. Ich stelle mir die Westernhelden vor, die zu Pferde in solchen Gegenden herumgeirrt waren. Alles voller Romantik. Ich versuche Jr. (Junior) zu unterhalten.
„Das ist der Joshua Baum. Ich hatte mal irgendwo gelesen, dass sie deswegen so eigenartig aussehen, weil ihre Äste immer in die Richtung, in die die Blüten blühen, weiter wachsen. Dann im folgenden Jahr wachsen sie wieder in eine andere Richtung.“
„Hm“ sagt er.
Ich kann meinen Mund wund reden, egal was ich sage, nichts interessiert ihn. Er öffnet eine Dose Bier und kippt sie in sich. Auf den Hügeln stehen Riesenkakteen, aus dem Radio dröhnt Country Musik. Schmalzige Schlager. Vor lauter verzweifelter Langeweile stimme ich mich auf diese Musik ein, und siehe; das erste Mal in meinem Leben: Ich kann diese Musik genießen.
„Gut wa? Das sind do richtige Hits. Ja, in Texas, da kannste gute Country hören“ lockert sich endlich seine Zunge. „I komm oos Texas. Geh zrück zu Mom, oof die Farm. Nu, was sagste zum Auto. Gestrn hob i de Motr gewechslt. In
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