Keks & Drugs & Rock 'n' Roll
dass das weiße Pulver vorhin „Speed“ wäre, damit er nicht einschläft. Ich biete ihm erneut an zu fahren, wenn er müde sei.
„Nein, nein“ sagt er. „Du sollst schlafen. Schlaf! I bin O.K. Zehn Jahre lebt i mitne Frau in Sacramento. Aber Schluss! I geh nach Haus. Texas is meine Heimat. Ja dasisses! Hier!“ er dreht das Radio laut.
Ein bekannter Song: „Country Road take me home...“ Oh wenn er nicht so vollgepumpt wäre, würde er vor nostalgischer Rührseligkeit bestimmt in Tränen ausbrechen. Aber er starrt nur nach vorn und späht aufgeregt auf die Straße.
„ Schlaf! Schlaf ruhig! Ich bin O.K.“ sagt er und hat keine Lust sich mit mir zu unterhalten.
Ich nicke ein, und wenn ich ab und zu wach werde, raunzt er mich an: „Schlaf ruhig! I binnich müde.“ Ich kann natürlich nicht richtig einschlafen. Aber ich tu so, als ob. Er ist zunehmend nur noch mit sich beschäftigt. Alles anderes nervt ihn nur. Dann ruft er mir früh um vier Uhr zu:
„Guck aof die Kart! Hier müssen wir örgendwo nach Austin abbiegn.“
Die Hinweisschilder sagen, dass die „290“ bald nach Fredericksburg abbiegt. Ich sage ihm, dass die „290“ unser Weg sei, nur weiß ich nicht wo eben Fredericksburg liegt. Ich habe es auf der Karte noch nicht gefunden... Aber wir rasen schon an dem Abzweig vorbei.
„Such Austin! Wir fahrn nach Austin!“
Ich finde es endlich: Die „290“ führt über Fredericksburg nach Austin. Nun ist es aber zu spät.
„Wir hätten hier abbiegen müssen“ sage ich ihm.
Da flippt er völlig aus: „Warum sagste’s nich rechzeitig! Du hast kein Kraut! gucken kannste aoch nich! Mensch ich will nach Haus!“
Ich weiß es, diskutieren hat keinen Sinn. Denn alles, was von mir kommt, dringt immer weniger bis zu seinem Hirn durch. Er hat irgendwo in der Nacht noch mal einen letzten Sechspack Bier aufgetankt. Davon ist aber nur noch der Rausch übrig. Die leeren Bierdosen sind schon längst über den rasenden Beton dahingeprasselt. Davor hatte ich noch alles zusammengesammelt und beim Halt in die Mülltonne geworfen. Aber bei dieser letzten Packung hat er jede Regel und Vernunft außer Kraft gesetzt.
Der nächste Abzweig kommt erst in dreißig Meilen. Kerrville. Die Schilder kündigen sogar an, dass man dort auf der „16“ nach Fredericksburg kommt. Jr. Besteht aber darauf, dass wir nach Austin fahren. Es ist schwierig ihn zu überreden, dass der kürzeste Weg jetzt über die „16“ und dann die „290“ führt. Er glaubt mir nicht. Da schiebe ich ihm die Karte unter die Nase, aber er will nicht anhalten, um sich das anzusehen. Lieber biegt er auf meine volle Verantwortung so ab, wie ich es will und wir huschen wie das Phantom der Nacht durch kleinere Ortschaften hindurch. Wir gelangen an die Kreuzung, die ich vorausgesagt habe und biegen auf die „290“. Nun kommt auch das erste Schild, welches Austin ankündigt und Jr. nörgelt mich gleich an:
„I hab doch gsagt, wir müssen hierlang! Verdammt, i kenn doch diese Gegend.“
Ich schlucke es natürlich. Was anderes bliebe mir sonst übrig. Ich mache ihm klar, wo er mich in Austin dann absetzten soll. Seine Route führt von dort nach Norden und ich bleibe auf dieser Straße weiter nach Osten. Aber kaum sind wir in der Stadt an der ersten Ampel angelangt, sagt er: „Da sind wir!“ Zwar nicht gern, aber er nimmt mich doch noch ein Stückchen mit. Wir düsen über die „35“ bis zu dem Abzweig nach Huston. Da rufe ich ihm zu:
„Hier! Es reicht mir bis hier.“
Er rast kurzentschlossen vom Fahrdamm, dass der kiesig-sandige Rand eine Staubwolke hustet. Die Bremsen quietschen, er öffnet meine Tür und ich kann nicht mal ordentlich aussteigen. Meine Beine berühren gerade den Boden, meine Hand zieht den Rucksack, aber ich habe ihn noch nicht mal richtig draußen, da gibt er schon Gas. Ich falle fast hin und sehe, dass die Tür sogar von dem plötzlichen Start halb zuschnappt.
Mit sowas habe ich überhaupt nicht gerechnet. Ich dacht e, wir verabschieden uns noch. Aber ich kann ihn verstehen. Jr. ist schon so am Ende, dass er die Zeit schon in Minuten zählt. „Nur noch nach Hause kommen“ gilt. Die Farm seiner Familie liegt noch achtzig Meilen entfernt. Gute anderthalb Stunden Fahrerei.
Ich stehe auf der Straße und denke an Jr. . Der längste Tramp bisweilen, fast tausend Meilen. Sechzehn Stunden zusammen. Und was weiß ich über ihn? Er war die ganze Zeit tausend Meilen entfernt von mir. Ich verstehe es nicht. Ich weiß
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