Keks & Drugs & Rock 'n' Roll
schnitt in meine Hände, während mein Rucksack mich nach hinten wegzog. Als Frühsport wäre das viel angebrachter. Aber was soll die Kraftmeierei, wenn ich einige Schritte weiter locker hochspazieren kann.
Vor dem Supermarkt hole ich mein Frühstück heraus: Avocado, Mais, Tortenreste undsoweiter. Gesegnet sei Richard Kallas und die für die Mülltonnen produzierende Gesellschaft für das grandiose Frühstück. Und natürlich dieser Supermarkt, namens K-Mart, der mir nachher die heiße Schokolade dazu liefert. Die junge Kassiererin lächelt mir neugierig entgegen.
„Woher, wohin, wie?“
Sie staunt nicht schlecht. „Oh, per Anhalter? Und wie sind die Menschen? Nehmen sie dich mit? Und wie ist Amerika?“
Die beiden anderen Verkäuferinnen schleichen sich auch an uns heran. Sie wollen etwas über Amerika erfahren. Wie ist Amerika? Wie ist San Francisco? Wie ist der Grand Canyon?
„Er ist acht Stunden von uns entfernt, aber ich war noch nie dort“ sagt die teenyhafte Souvenirverkäuferin mit dem sorgfältig gestruppten blonden Schopf.
In mir wird wieder der Grand Canyon lebendig. Ich sehe vor meinen Augen die terrassenweise verjüngten, rötlichen Riesen.
Sie zeigt mir eine Postkarte.
„Ist er in Wirklichkeit auch so schön?“
„Was!? Er ist viel schöner!“ Ich male mit meinen Händen breite Bewegungen in die Luft und zeige, wie der Wind die mehreren hundert Fuß hohen, steilen Spitzen geformt hatte...
Ein Mann in blauen Jeansanzug grinst mich an und zwinkert mit dem Auge. Er denkt, ich will den Mädchen imponieren. Na klar, aber nein. Nicht wirklich! Sie wollen doch, dass ich ihren langweiligen Vormittag ein wenig bunter mache.
Sie sind zwar eine angenehme Gesellschaft, aber es ist nicht mein Programm, sie derart zu unterhalten. Ich will doch in eineinhalb Wochen in New York wieder ankommen, aber vorher noch in New Orleans vorbeischnuppern. Ich will noch das Mississippi-Delta kennen lernen. Mal sehen, was „Onkel Toms Hütte“ macht. Dann runter nach Florida, wo ich Adressen von Bekannten habe, die auf mich warten. Mal Guten Tag sagen. Dann New York City.
Also: Abschied von den Mädels, und während ich meine Apfelsine mammse fällt mir plötzlich ein: Hey, ich hab schon im Atlantik und auch im Stillen Ozean gebadet! Ja doch, Mann, da unten bei Frisco! Na und? Was bedeutet das? Nichts, absolut nichts, nur dass ich mich gewaschen habe und so konnte ich den Tag sauberer beginnen. Na, Also! Ich soll jetzt nicht anfangen nostalgisch zu werden. Nur weil einige hübsche Mädel meine Eitelkeit wachgekitzelt haben...
Knallenden Schrittes marschiere ich zurück zur „Bundesautobahn Zehn“. Über den Bergen verschwindet auch die allerletzte Wolke und es ist heiß, viehisch heiß. Aber scheinbar nur mir, denn der Mann, der für mich anhält, trägt ein langärmeliges Hemd und Levi’s Jacke. Er meint, er hätte noch ziemlich wenig an, und wundert sich über mich, dass ich so kurzärmelig nicht friere.
„Hallo, Cowboy! Hatte dei Jacki verloon?“
Ich frage dreimal nach, was er meint.
„Ach so, meine Jacke? Nein , ich habe sie nicht verloren, ich habe sie ausgezogen, wegen der Hitze. Aber ich bin kein Cowboy.“
„Aha, und ich heiß Ken“ sagt er. Dann redet und redet er weiter mit einem Dialekt, den ich überhaupt nicht kapiere. Ich kann nur raten, und wenn er mich fragt, murmele ich mal ja, ja.
Soviel entziffere ich mittlerweile, dass er seine Jacke erst über 90° Fahrenheit (32 C°) auszieht. Er zeigt auf den gelben Berg, der sich hinter dem von weißen Häusern und grünen Bäumen durchmischten Tucson hinzieht. Dort sticht der Lemon Gipfel mit seinem Blau heraus. Und Ken erzählt von irgendeiner Schifahrt und einem Gipsbein. Ich sehe winzige Häuser und Parks vor der Bergkette auf der breiten semmelfarbenen sandigen Ebene. Einige Hochhäuser verirren sich auch mal hier und da, es gibt sogar manchmal freche Gruppen von denen. Auf jeden Fall, protzen sie unpassend in der Gegend herum. Die Stadt nimmt eine riesige Fläche ein. Die Straße führt über Aufschüttungen, so kann ich unbehindert weit sehen. Bis zu den schattenbedeckten Füßen der Berge.
Ken traktiert mich derweil ununterbrochen mit seiner Gipsbeingeschichte. Meine Ohren gewöhnen sich nur langsam an seine Sprache.
„Aha, ich verstehe: Deine Freundin hat sich das Bein gebrochen, und du sie deswegen verlassen.
„Nein, nein!“ schüttelt er den Kopf. „Mei Bein war g’brochn, als i zu Unni ging.“
Na klar, umgekehrt.
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