Keks & Drugs & Rock 'n' Roll
mit den Studenten mitkomme, aber es ist nicht nötig. Ich bin der Einzige, der die ganze Zeit zuhört. Die jungen Frauen unterhalten sich an ihren Tischen und wiehern von Zeit zu Zeit, ohne sich zu genieren. Ein junger Vetter an meinem Tisch liest eine, auf seine Knien gelegte, bunte Zeitung. Das Tempo ist sehr langsam und Adlerherz erklärt alles zweimal, dann schreibt er es an die Tafel.
Nach dem Unterricht auf dem Heimweg fragt er mich mit Stolz, wie mir seine Lehrertätigkeit gefiele. Aber er setzt selber fort. „Ich habe vor dreizehn Jahren mit dem Alkohol aufgehört, - jetzt bin ich zweiundsiebzig -, damals begann ich zu lernen. Seit dreizehn Jahren gebe ich mein ganzes Geld für‘s Lernen aus. Ich habe viele Kurse über unsere Geschichte besucht, ich war sogar an einer Universität. Ich habe alles über die Indianer gelernt. Jetzt bin ich selber der Lehrer.“
Joe ergänzt es noch nachher zu Hause mit einem bitter ironischen Abwinken: „Klar, der Staat unterstützt jeden Indianer, der lernen will. Er zahlt für sie das Coll ege und die Universität...“ und schiebt ein Video ein. Christy kramt in ihrem Schlafzimmer eine Weile und zeigt mir einen Häuptlingskopffederschmuck. Die aneinander gereihten, langen Adlerfedern sind mit Perlen geschmücktem, rotgegerbtem Hirschleder zusammengeflochten. Prächtiger und schöner als die in dem Missionsmuseum. „Das habe ich von dem Großvater meines Großvaters geerbt. Sitting Bull, mein Großgroßvater war Medizinmann und Häuptling.“
„Hä??“ fällt mein Unterkiefer ungläubig herunter. Aber Joe versichert felsenfest, dass Christy und Adlerherz und noch eine Menge Verwandte in der Gegend, alle Sitting Bulls nahe oder ferne Nachkömmlinge seien. Christy wäre aber die Geradlinigste und so sein Sohn Alma, ein Ur-ur-urenkel des Magischen Häuptlings, dessen Federschmuck jetzt auf meinem Haupt protzt. Ich stolziere, wie ein aufgeplusterter Pfau vor dem Spiegel und Christy sagt voller Begeisterung: „Wao, es steht dir sehr gut! Ist mindestens fünftausend Dollar wert.“
Dann verschwindet das Prachtstück in eine große Plastetüte gesteckt zwischen den durcheinander gewürfelten Kleidern und Schuhen im Schlafzimmerschrank. Im Fernsehen kommen nämlich echte Indianer, unter denen es mal hier, mal da auch einen guten gibt. Die Videokassetten kommen aus Joes Laden. Er hatte, gerade vor kurzem, eine Ecke dort für Christys neubegonnenes Videogeschäft freigestellt. Horror- und Aktionfilme gehen am besten, dann kommen die Indianer, meistens in den John Wayne Western. Da muss ich an den Tennisfan-Lebemann zwischen Deadwood und Spearfish denken. Er meinte, jedem besseren Amerikaner dreht sich der Magen, wenn man John Wayne erwähnt: „John Wayne ist der Mann, der Ronald Reagen die meisten Kopfschmerzen verpasste“ meinte er. „Ihm haben wir es zu verdanken, dass Rony Präsident geworden ist. Neben John Wayne war er nur ein zweitrangiger Western-Star. Ronald Reagen war immer eifersüchtig auf ihn. Er wollte aber auch mal die Nummer Eins sein, deshalb ging er in die Politik.“
Joe weiß natürlich über all diese Sachen nichts und will auch nichts wissen. Er liebt die John Wayne Filme.
Während der träge, in seinen späteren Filmen etwas korpulente Wayne seine Feinde fertig macht, bereite ich in der Küche einen Milchmix zu. In erster Linie für mich, dann für meinen Freund Joe. Ich frage auch den Rest der Familie. Hier ist totale Selbstbedienung, jeder nach seiner Zeit, nach seinem Bedürfnis und seiner Fähigkeit. Die Kleinkinder werden meistens von Joe versorgt, alle anderen holen sich, was sie im Tiefkühler finden, knallen es in die Pfanne und basta. Der Abwasch türmt sich, der Kochherd, die Spüle und der Küchentisch verraten die Menüs des letzten Monats. Joe ist richtig dankbar, als ich die Küche für eine neue Speisekartenepoche frei putze. Am nächsten Tag, als wir beide alleine bleiben, schüttet er mir sein Herz aus.
„Da siehst du, wie unordentlich die sind. Sie kümmern sich um nichts. Da sind diese erwachsenen Kinder hier, die haben von nichts Ahnung, nur vor dem Fernseher sitzen, glotzen und saufen. Nur! Ich lüge nicht, die können nicht mal ein Rührei machen. Die Kinder essen auch nur dann was warmes, wenn ich koche. Vor vier Jahren hatte ich Christy geheiratet. Damals war dieses Haus schön gepflegt, und sieh dir das jetzt an.“ Er führt mich in dem großen Haus überall herum. „Schau dir das an“ zeigt er mit wehmütiger
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