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Kellerwelt

Kellerwelt

Titel: Kellerwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niels Peter Henning
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den
Schultern. „Soll mir egal sein. Da war ohnehin nur noch Schrott drin. Das gute
Zeug haben wir mitgenommen."
    „ Er hatte einen Revolver in
der Hand, als er wieder raus kam", sagte das Orakel. „Ein ziemlich großes
Ding."
    Er erinnerte sich an die
Waffe. „Der Taurus."
    „ Genau." Der Chef
schlug mit seiner linken Faust in die rechte Handfläche. „War ein schönes
Stück. Eine Schande ist das."
    „ Der war irgendwie durch den
Wind. Brüllte herum wie ein Verrückter. Dann hat er sein Sichtgerät
herausgeholt und auf den Auslöser gedrückt. Das Ding fing an zu blitzen und er
ging zitternd und sabbernd zu Boden. Als er umkippte, wusste ich auf einmal,
was ich zu tun hatte. Ich wusste, dass ich laufen musste. Keine Ahnung, wohin.
Ich bin einfach nur gerannt. Ich bin den ganzen Weg gerannt und habe keine
Pause gemacht, bis ich euch gefunden hatte."
    Er ahnte, worauf das Orakel
hinaus wollte. „Und nun willst du dich uns anschließen, damit du diesem
Entsorger nicht noch einmal in die Quere kommst, richtig?"
    „ Ganz falsch." Das
Orakel grinste. „Dem Entsorger bin ich völlig egal. Der ist nur hinter euch
her. Doch bevor er bei mir auftauchte, hatte ich geschlafen. Beim Aufwachen
habe ich das hier gefunden."
    Das Orakel zog die Überreste
des linken Ärmels seiner Lumpentracht bis über den Ellbogen hinauf. In der
Armbeuge kam ein leicht entzündetes Einstichloch zum Vorschein. Das Orakel
zeigte den Einstich herum und ließ den Ärmel dann wieder nach unten gleiten.
    „ Ich habe eine Aufgabe
bekommen. Die allererste, seit ich hier bin. Anfangs wusste ich nicht genau,
welche Aufgabe das sein sollte. Es wollte mir einfach nicht einfallen. Als der
Entsorger aber mit der Siedlung fertig war, da wusste ich plötzlich Bescheid.
Mir war auf einmal klar, dass ich eine Warnung überbringen musste." Das
Orakel schaute in die Runde, als erwarte es Applaus.
    Einige Augenblicke lang
sprach niemand. Dann sagte die Kleine mit ironischem Unterton: „Und wovor
sollst du uns warnen? Vor diesem komischen Entsorger, von dem der Chef dauernd
redet? Ganz toll, Orakel, echt. Das sind ja wirklich mal Neuigkeiten."
    Dem Orakel gelang es, sich
mit einem Ruck aus seinem Griff zu befreien. Er hätte den stinkenden Mann zwar
wieder packen können, doch er ließ ihn in Ruhe. Irgendetwas schien mit diesem
Orakel nicht zu stimmen. Sicher, es hechelte die Worte noch immer heraus, es
roch auch weiterhin abstoßend und es verhielt sich, als kreise in seinen Adern
kein Blut, sondern reines Koffein. Doch etwas war anders. Das Orakel wirkte
einfach weniger wahnsinnig als bei ihrer ersten Begegnung.
    „ Nein, nein, nein", gab
es gerade in einer Art Singsang von sich. „Ich soll euch nicht vor dem
Entsorger warnen. Stattdessen soll ich ihn" - das Orakel deutete direkt
auf ihn - „vor ihm" - nun deutete das Orakel auf den Chef - „warnen."
    Wieder herrschte Stille.
Alle starrten das Orakel an. Dann brach der Chef das Schweigen, indem er
schallend loslachte. Einige Augenblicke später stimmte die Kleine in das Lachen
ein. Das Panzerchen hielt sich zurück und betrachtete das Orakel nachdenklich.
    Ihm selbst war auch nicht
zum Lachen zumute. Es gab zwar nichts, woran er sein Gefühl hätte festmachen
können, doch er glaubte zu spüren, dass es sich nicht um eine leere Warnung
handelte. Außerdem hatte das Lachen des Chefs etwas Unechtes an sich.
    „ Orakel, du bist wirklich
ein Knaller", prustete der Chef gerade und wischte sich eine nicht
vorhandene Träne aus dem Augenwinkel. „Ich weiß, du magst es, andere zu
provozieren und gegeneinander aufzuhetzen. Mit solchen Aktionen hast du schon
für eine Menge Unfrieden in der Siedlung gesorgt. Aber das hier ist nun
wirklich ein bisschen stark, findest du nicht?"
    „ Nein, nein, nein",
sang das Orakel weiter. „Das ist nicht stark, das ist einfach nur die Wahrheit.
Und ich soll nicht nur ihn" - das Orakel deutete wieder auf ihn - „sondern
auch ihn" - nun deutete es auf das Panzerchen - „und sie" - es
deutete auf die Kleine - „warnen. Ich soll allen sagen, wer du bist und was du
vorhast."
    Das Lachen des Chefs
versickerte allmählich in der Kehle des Liliputaners. „Was, bitteschön, sollte
ich denn vorhaben, was meine drei Gefährten hier noch nicht wissen? Ich will
einfach nur durch die Kriegszone, um den Entsorger abzuhängen. Das weiß jeder hier."
    Der Tonfall des Orakels
änderte sich schlagartig. Aller Singsang und alle Verrücktheit verschwanden von
einem Augenblick zum

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