Kellerwelt
Chef wandte sich ihm wieder zu.
„Solche Gedanken sind für einen kleinen Familienvater, der jeden Tag brav zur
Arbeit fährt, überhaupt nicht normal. Für einen geistesgestörten Killer oder
einen knallharten Einzelkämpfer hingegen sind sie nichts Besonderes. Es kommt
einfach nur auf den Blickwinkel an, verstehst du?"
Der Chef nahm sich die Zeit,
die nächsten Räume selbst zu inspizieren. Dabei wurde der Zwerg sogar fündig
und meinte, damit sei die Theorie bewiesen: Man werde nur verpflegt, wenn man
seiner Aufgabe nachgehe.
Da ihm nichts anderes übrig
blieb, als unterdessen zu warten, nahm er sich selbst den einen oder anderen
Raum vor. Tatsächlich förderte er dabei noch mehr Nahrungsriegel, noch mehr
Wasser und - vor allem - Munition für das G36C zutage. Sein Rucksack geriet
allmählich an die Grenze seines Fassungsvermögens. Der Chef steckte ihm
allerdings noch zwei Medipacks zu. Anfangs wollte er die Päckchen nicht
annehmen. Schließlich waren sie nicht für ihn bestimmt und er verspürte
keinerlei Lust, gegen die hier herrschenden Regeln zu verstoßen. Der Chef
meinte aber, es sei völlig in Ordnung, Geschenke anzunehmen. Andernfalls hätte
er selbst nicht so lange überleben können. Dann forderte der Chef ihn auf, die
Medipacks in seinen Hosentaschen oder in der Jacke zu verstauen und immer
griffbereit zu halten.
„ Von denen kann man nie
genug haben. Wenn es dich erwischt, dann drückst du einfach die Bandage auf die
Wunde und hältst sie für einige Zeit fest. So lange der Treffer nicht tödlich
ist, bist du nach ein paar Augenblicken wieder fit."
Er verteilte die
Verbandspäckchen auf seine Beintaschen. „Den Effekt habe ich bereits kennen
gelernt. Das geht wirklich verdammt schnell. Aber was mache ich, wenn ich in
einer Gefechtssituation keine Zeit habe, mich zu verarzten?"
Der Chef grinste. „Dann
wirfst du dir einen Schmerzkiller rein. Das sind die lustigen Pillen. Vier Stück
in jedem Medipack. Danach bist du schmerzfrei und hast Zeit, in Deckung zu
gehen und die Blutung zu stillen. Solltest du das nicht schaffen und verbluten,
dann ist es dir wenigstens scheißegal. Aber sei vorsichtig: Die Dinger wirken
verdammt schnell und stellen merkwürdige Sachen mit deiner Wahrnehmung
an."
„ Ich weiß." Er
erinnerte sich nur zu gut an die Wirkung der Tablette, die er nach seiner
Ankunft in den Katakomben genommen hatte. Wenn es hart auf hart kam, dann würde
er lieber die Zähne zusammenbeißen und die Schmerzen ertragen, als sich mit
diesem Teufelszeug zu betäuben.
Als sie weiterzogen kam der
Chef allmählich ins Plaudern. „Na bitte, es funktioniert doch. Allmählich
füllen sich meine Vorräte wieder auf. Dafür ist das schöne Leben aber endgültig
vorbei. Zu schade. Aber was quatsche ich da? Schönes Leben? So schön war das
auch nicht. Es kann einem ziemlich auf den Senkel gehen, wenn diese Kühe den
ganzen Tag auf der Matte stehen und nicht wissen, was sie tun sollen. Im
Gegensatz zu Männern in Schwarz sind diese Kühe völlig antriebslos. Sie nehmen
alles, wie es kommt und sie stellen nichts in Frage. Man muss ihnen schon in
den Hintern treten, damit sie ihr Gehirn einschalten. Und wenn sie das tun,
dann kommt meistens nur Schwachsinn heraus." Der Chef schüttelte seinen
Kopf. „Mann, ich habe mal versucht, mit deren Hilfe etwas über unsere Umgebung
herauszufinden. Dazu habe ich mir einige Kühe herausgesucht, denen ich
wenigstens ein klein wenig selbständiges Denken zutraute. Dann habe ich das
Orakel auf diese Kühe losgelassen. Das Orakel hat sie so lange mit Fragen
bombardiert, bis die Kühe anfingen, selbständig zu denken. Mann, da kam nur
Blödsinn heraus. Die meisten hatten überhaupt keine Meinung, aber einige
glaubten, dies hier sei eine Art Experiment. Sie glaubten, wir seien
Versuchskaninchen, die von Wissenschaftlern beobachtet werden. Das fand ich gar
nicht so dumm. Ich hatte selbst schon mit dem Gedanken gespielt, Bestandteil
eines militärischen Experiments zu sein. Vielleicht möchte jemand testen, wie
Elitesoldaten unter Stress reagieren. Doch dabei passen die Kühe nicht ins
Bild. Was haben die in einem militärischen Experiment zu suchen? Außerdem ist
die Bedrohungslage zu gering und die Sache läuft schon zu lange. Deswegen habe
ich die Idee mit dem Experiment wieder verworfen. Andere hingegen glaubten,
dies hier sei überhaupt nicht real. Sie glaubten, dies hier sei nicht die
Wirklichkeit, sondern irgendetwas Anderes. Die Religiösen glaubten, dies
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