Kells Legende: Roman (German Edition)
dem Nebel auftauchten. Kell begriff voller Entsetzen, dass er sich einer erdrückenden Übermacht gegenübersah und runzelte finster die Stirn, als ihm dunkle Gedanken durch den Kopf schossen und sein Blut durch seine Adern pumpte, glühend heiß, in einem schweren, pulsierenden Rhythmus. Er hatte es nicht gewollt, er hatte all das hinter sich gelassen, und doch war es zurückgekommen, zog ihn hinein, zog ihn auf des Messers Schneide von …
Mord!
Ein anderes Schwert zischte durch die Luft, gegen seinen Kopf, aber Kell duckte sich, bog sich nach links und schlug mit seiner Axt zu, die sich tief ins Fleisch grub. Er rammte seinen rechten Ellbogen in das Gesicht eines anderen Soldaten, dann hatten sie ihn umzingelt. Ihre Schwerter und Klingen schimmerten, aber das machte ihm das Leben nur einfacher. Er grinste. Sie alle waren seine Feinde. Kells Verstand trat einen Schritt zurück, und seine Aura wurde plötzlich kalt. In seinem Hirn kehrte eine eisige Ruhe ein, und er veränderte sich mit einem fast unmerklichen Ruck. Die Jahre fielen wie altes Konfetti von ihm ab. Er spürte die alte, dunkle Magie, die wie narkotisierender Honig durch sein Blut rann. Ja, er hatte dagegen angekämpft, doch jetzt war sie wieder da. Und er hieß sie willkommen.
Geschmeidig wirbelte Kell herum, und seine Axt zischte in einem weiten Bogen durch die Luft, wobei sie einen weißen Sprühnebel nach sich zog. Ein Albino-Soldat verlor seinen Kopf, die Axt flog weiter, dann riss er sie plötzlich zurück und hämmerte damit durch den Brustpanzer eines anderen Soldaten, durchtrennte den Stahl, zertrümmerte das Brustbein und zerfetzte das pumpende, weiße Herz dahinter. Kell schlug mit der Faust einen Soldaten zu Boden, duckte sich unter dem Hieb eines Schwertes hindurch, das an seinem Ohr vorbeisauste, und dann grub Ilanna sich in den Schädel eines dritten Albinos, zwischen die Augen, spaltete seinen Schädel wie eine Melone. Kell packte mit seinen dicken Fingern einen weiteren Soldaten an der Kehle, hob ihn hoch, so dass seine Beine in der Luft baumelten, und zog ihn dann dicht vor sein heiteres, tödlich ruhiges Gesicht. Er rammte dem Soldaten seine Stirn gegen den Schädel, schlug die Nase in dem fahlen, weißen Gesicht platt und ließ dann die hilflose Gestalt achtlos auf die Pflastersteine fallen. Dann setzte Kell sich in Bewegung, rannte über den Markt, wich den spröden Hüllen der ausgesaugten Leichen aus, während sein Mund trocken wurde, nicht von Furcht, sondern von einem schrecklichen, uralten Verstehen, als ihm das Ausmaß dieses Gemetzels dämmerte. Das waren nicht irgendwelche verstreuten Briganten, die einen spontanen Überfall durchführten. Das hier war ein ausgewachsener, gut geplanter Angriff!
Der Feind war gut gerüstet, professionell, erfahren, diszipliniert und rücksichtslos. Obwohl Kell die Soldaten so schnell und effizient niedergestreckt hatte, waren die anderen weder in Panik geraten noch geflüchtet. Diese Leute waren für den Krieg gezüchtet worden. Und doch, trotz ihrer Fähigkeiten beschlich Kell die böse Vorahnung, dass er bislang nur die schlecht Ausgebildeten getroffen hatte, die Frontsoldaten, die frischen Rekruten. Kurz, die Entbehrlichen.
Kell rannte wütend weiter und blieb schließlich am Rand des Marktplatzes stehen. Er lehnte sich an die Bude von Brask, dem Bäcker, um Atem zu schöpfen. Der Geruch von frischem Brot drang ihm in die Nase, aber als er danach griff, bemerkte er, dass die Brote auf den Regalen zu Eis gefroren waren. Ebenso wie Brask selbst. Der Bäcker kniete, stützte sich auf den Rand seiner Bude, die Haut blau gefroren.
»Diese Mistkerle!«, knurrte Kell und kontrollierte seine Atmung. Er war das Laufen nicht mehr gewöhnt und litt zudem an den Nachwirkungen von zu viel Schnaps und Pfeifentabak. Hinzu kam eine Dekade Entwöhnung vom Armeedienst – zehn Jahre, die er herumgesessen und die Berge betrachtet hatte, und dann noch der Schnee … Kell war alles andere als kampftauglich. Er wartete, bis der Schmerz abgeklungen war, ignorierte das Brennen wie von Messerstichen in seinem Kreuz, den Knien, in seinem rechten Ellbogen, der Schulter; dieses Vermächtnis der Arthritis, von den Jahrzehnten, in denen er die schwere Streitaxt geschwungen und mit heftigen Schlägen, die ihm bis auf die Knochen gegangen und seinen Körper erschüttert hatten, Fleischklumpen aus Leibern herausgehauen hatte.
Die Tage des Blutes , flüsterte eine Stimme in seiner Fantasie und lachte dann
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