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Kells Legende: Roman (German Edition)

Kells Legende: Roman (German Edition)

Titel: Kells Legende: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy Remic
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war; zur Strafe, wenn er seine Schwester geschlagen oder eines der Kuchenstücke stibitzt hatte, die von seiner Mutter frisch gebacken worden waren.
    Schon seit Jahren hatte Saark nicht mehr an diese Albträume gedacht. Jetzt jedoch, vor allem an diesem düsteren, unheimlichen Ort und unter dem bedrohlichen Blick einer perversen, steinernen Statue, schlich sich der Schrecken dieser düsteren Geschichten aus seiner Kindheit wieder in seine lebhafte Fantasie. Er erinnerte sich nur allzu deutlich daran, wie er sich unter dicke Decken gekauert und die tanzenden Schatten an der Wand beobachtet hatte, während er darauf wartete, dass Dage, der Axtschwinger, ihn holen kam.
    »Geht es dir gut?«, wollte Kell wissen.
    »Ich habe gerade … an meine Kindheit gedacht.«
    »Das war wohl eine glückliche Zeit, hab ich recht?«, erkundigte sich Kell.
    Bilder stiegen in Saark hoch, wie er als Kind mit einem selbst gebauten Drachen in der Hand ins Haus gelaufen war, wo er seinen Vater vorgefunden hatte, an einem Dachbalken hängend und schaukelnd, das Gesicht blau angelaufen und ein Auge auf der Wange baumelnd. Sein Mund war von getrocknetem Blut gesäumt gewesen, und er hatte die dicke, aufgeblähte Zunge herausgestreckt wie auf einer obszönen Zeichnung. Der Junge hatte die Leiche mit einem Brotmesser abgeschnitten und war bei ihr sitzen geblieben; er hatte den Kopf des toten Vaters in seinen Schoß gelegt und seine langsam erkaltenden, steif werdenden Hände gehalten, bis seine Mutter nachhause gekommen war. In Begleitung der Gerichtsvollzieher, die ihnen ihr Haus nehmen wollten. Sie hatten keine Gnade walten lassen. Bereits einen Tag später hatten sie auf der Straße gesessen.
    »Eine glückliche Zeit, ja«, antwortete Saark und löschte diese Erinnerungen aus, so wie man eine Kerze ausbläst. Merkwürdig, dachte er. Dass diese alten Geschichten ausgerechnet hier und jetzt wieder hochkamen. Er hatte sie seit Jahrzehnten tief in sich verschlossen gehabt, an einem verborgenen Ort. Saark hustete und zerrte an den Zügeln der Pferde. »Komm, lass uns gehen. Dieser Ort hier ist mir unheimlich.«
    »Bist du sicher, dass es dir gut geht?«, erkundigte sich Kell. Er wirkte besorgt. »Einen Moment hast du ausgesehen, als wäre dir ein Geist begegnet.«
    Saark stellte sich erneut seinen Vater vor, der von dem Dachbalken baumelte. »Vielleicht ist ja auch genau das passiert«, erwiderte er flüsternd. Dann war er verschwunden und marschierte einen breiten, verschlungenen Pfad entlang; Kell zog sein eigenes Pferd weiter. Der Wallach wieherte einmal schrill und protestierend, folgte ihm dann jedoch zögernd.
    »Das ist nicht gut«, murmelte Kell, der die Veränderung in Saarks Stimmung spürte. »Das ist ganz und gar nicht gut.«
    Sie marschierten durch den Wald, gingen etwa eine Stunde durch die Dunkelheit und suchten sich vorsichtig einen Weg über Wurzeln und Zweige, zwischen Lärchen, Kiefern und Schierlingstannen hindurch, über verfaulende Blätter von riesigen, verkrüppelten Eichen und über dichte Teppiche aus Nadeln von Rotzedern. Der Wald hier bestand aus uralten, knorrigen, krummen Bäumen, die noch riesiger waren als alles, was Saark jemals gesehen hatte.
    Schließlich erreichten sie eine Lichtung im Forst; Saark hielt an und betrachtete eine Ansammlung von Statuen. Sein Mund stand vor Verblüffung offen. Es gab sieben von ihnen, und sie waren in einem merkwürdigen, beinahe natürlich wirkenden Kreis arrangiert, einer freien Fläche, als hätten selbst die Bäume zu viel Respekt, um in der Nähe dieser perversen Standbilder Wurzeln zu schlagen.
    »Was, bitte schön«, stieß er hervor, »ist denn das?«
    »Die sieben Dämonen«, erwiderte Kell leise. Er legte Saark eine Hand auf die Schulter. »Wir sollten uns behutsam weiterbewegen, mein Junge. Wir wollen sie nicht gegen uns aufbringen.«
    »Was, bitte schön, willst du damit sagen?«
    »Die Blutmagie ist eine alte Bestie, ganz gleich, was die Vachine glauben. Sie reicht schon Tausende von Jahren zurück. Wenn man so viel in der Welt herumkommt wie ich, hört und sieht man ein paar Dinge, und man weiß, wann es ratsam ist, den Kopf einzuziehen.«
    »Du warst also schon einmal hier?«
    »Ja.«
    »Also ist dieser Ort verflucht?«
    »Schlimmer, mein Junge. Also lass uns still sein, schnell weiterziehen, Nienna holen und hoffen, dass wir niemanden stören.«
    »Das klingt ziemlich bedrohlich.«
    »Und es kann nur schlimmer werden, glaub mir. Der Forst der Steinlöwen hat sich

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