Kelwitts Stern
ein geheimer Vertrag zwischen ihm und seinem Hund dahin gehend, dass er sich morgens für die treue Anhänglichkeit des Vorabends zu revanchieren habe.
Im Lauf der Zeit hatte er sich einigermaßen an die Benommenheit gewöhnt, die der niedrige Blutalkoholspiegel und der viele Sauerstoff hervorriefen, und bisweilen erlebte er beinahe so etwas wie einen klaren Moment.
An diesem Dezembermorgen, an dem das übliche undefinierbare vorweihnachtliche Wetter herrschte, war er jedenfalls der Einzige, der das rauchende Etwas sah, das aus dem Himmel herabfiel, direkt auf den Heuschober des Brunnenwirts. Es gab einen mächtigen Rumms, staubte ein wenig über dem Dach des Schobers, dann war wieder Stille.
»Allerhand«, brummelte der Birnbauer Anton.
Auch Bundeskanzler hatte innegehalten und schaute, was da los war.
»Na«, meinte der Alte nach einer guten Weile. »Das müss’n wir uns anschaun.«
Sie stapften quer über die Brache. Bundeskanzler sprang voraus, nahm Witterung auf und fand alles reichlich beunruhigend, jedenfalls hielt er die schlappen Ohren aufgerichtet, so gut er konnte. Anton nestelte lange am Tor, bis er es endlich aufbekam, und tatsächlich! – da gähnte ein Loch im Dach, kreisrund, wie ausgestanzt, und so groß, dass man einen Traktor hätte hindurchschmeißen können.
»Wirklich allerhand«, meinte der Birnbauer Anton, und Bundeskanzler bellte bekräftigend.
Da war irgendwas im Heu. Der Heuhaufen sah zerfleddert und eingedrückt aus. Anton ahnte dumpf, dass das, was da durchs Dach gefallen war, sich ins Heu gebohrt haben musste.
»Ruhig, Bundeskanzler«, mahnte er, obwohl der Hund artig am Tor stehen geblieben war und nur unruhig zusah, wie sein Herrchen näher heranging an die Sache. Anton nahm einen langen hölzernen Stab, der einmal zu einem Heurechen gehört hatte, und bohrte ihn mit beiden Händen ins Heu.
Und stieß bald auf einen harten Widerstand. Allerhand! Er zog den Stab zurück und stieß noch mal zu, härter diesmal. Das klang nach Metall, wenn ihn nicht alles täuschte. Er klopfte noch ein paar Mal, bis ihm endlich einfiel, dass er besser um Hilfe ging. Dem Brunnenwirt würde das hier nicht gefallen, das stand fest.
Dem Brunnenwirt gefiel zunächst mal nicht, dass Anton so früh bei ihm auftauchte. »Schau, Anton«, sagte er, ehe der Alte den ersten Satz herausbrachte, »ich kann dir jetzt noch nix geben, bei aller Liebe. Ich muss so viel vorbereiten für Weihnachten und für Silvester natürlich; wir haben dies Jahr so viele Gäste angekündigt wie noch nie. Weil das Jahrtausend zu Ende geht, verstehst?«
»Ich will ja gar nix …«, begann der Birnbauer Anton.
»Dann versteh’n wir uns ja.«
»Ja, freilich.«
»Gut, dann setz dich da her. Kannst mir zuschauen, wie ich die neuen Speisekarten einsortier’.«
Der Birnbauer Anton setzte sich also her und schaute dem Brunnenwirt zu, wie der die neuen Speisekarten mit seinen dicken Wurstfingern in die abgewetzten alten Plastikhüllen schob. »Dein Heuschober«, begann er nach einer Weile wieder, »hat ein Loch im Dach.«
»Ja, ich weiß«, sagte der stiernackige Wirt nebenbei. »Das sollt’ ich auch noch flicken, eh es doch noch zu schneien anfängt.«
»Ach«, machte der Anton verblüfft. »Du weißt es also schon.«
»Ach, der Schober leckt jeden Herbst ein bisschen. Muss beizeiten ein Brett drunternageln, dann geht’s schon.« Vom Wirtshaus allein war kein Auskommen zu haben; der Wirt hatte nebenher sein Vieh wie alle im Ort. Das gab auch ein Fleisch, auf das man sich verlassen konnte.
»Ein Brett?«, wiederholte der alte Säufer, dem allmählich dämmerte, dass der Wirt und er von zwei verschieden großen Löchern sprachen. »Ein Brett wird nicht reichen, glaub’ ich …« Jetzt sah der Wirt auf. »Wie meinst denn das?«
»Da is’ was durchs Dach von deinem Schober gefallen. Grad vorhin. Ich hab’s geseh’n.«
»Was? Was red’st da? Durchs Dach?«
»Vom Himmel runter«, nickte der Birnbauer Anton, und Bundeskanzler, der zu seinen Füßen hockte und das Gespräch aufmerksam zu verfolgen schien, bellte bekräftigend.
»Und jetzt steckt’s im Heu.«
»Und was soll das sein?«
»Weiß nicht. Aus Metall ist’s, glaub ich.«
»Ach, mich kriegst du nicht dran«, machte der Wirt mit einer wegwerfenden Handbewegung und wandte sich seiner Frau zu, die hereingekommen war und angefangen hatte, Weihnachtsschmuck an den Wänden anzubringen. »Hast du den Tierarzt angerufen wegen der Sau?«
»Ja, freilich«,
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