Kelwitts Stern
gegeben, dass er sich nach einem neuen Job würde umsehen müssen, denn es gebe mm einmal nicht mehr so viele Verwendungsmöglichkeiten für Geheimagenten wie in der guten alten Zeit. Was sein Chef nicht ausdrücklich hinzugefügt, aber todsicher gemeint hatte, war, dass er mit dieser Begründung endlich die tauben Nüsse, die Volltrottel und Hohlköpfe seiner Abteilung loswerden konnte. Denn zweifellos zählte man ihn, Hermann Hase, zu dieser Kategorie.
Zugegeben, er hatte ein paar Mal Pech gehabt. Das eine oder andere Missgeschick war ihm unterlaufen. Die Verhaftung des Mannes etwa, den er für einen irakischen Agenten gehalten und der sich nachher als biederer türkischer Gemüsehändler entpuppt hatte, war etwas vorschnell gewesen. Auch seine Theorie, dass die Frau des Bundeskanzlers unter dem hypnotischen Einfluss eines Astrologen stünde, hatte für allerhand Wirbel gesorgt. Dass dem Bundeskanzler Einzelheiten über seine diesbezüglichen Ermittlungen zu Ohren gekommen waren, musste eindeutig unter Künstlerpech verbucht werden. Vermutlich trug man ihm auch noch nach, dass er im Rahmen einer verdeckten Aktion eine halbe Million Mark ausgegeben hatte, um in den Besitz eines angeblich vom Staatsratsvorsitzenden der DDR, Erich Honecker, verfassten Tagebuchs zu gelangen, das sich dann als Fälschung herausgestellt hatte.
Doch Hermann Hase, dreiundvierzig Jahre alt und ledig, focht das alles nicht an. Er war, dieses Gefühl trug ihn seit seinen Kindheitstagen durch alle Anfeindungen und Widrigkeiten, vom Schicksal dazu ausersehen, einmal eine bedeutende Mission zu erfüllen. Mit goldenen Lettern war ins Buch Gottes geschrieben, dass er, Hermann Hase, eines schicksalhaften Tages zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, das Richtige tun und damit das Schicksal der Menschheit in neue Bahnen lenken würde. Es galt abzuwarten und allzeit bereit zu sein.
Wie jetzt zum Beispiel. Eigentlich war er nicht im Dienst. Er war unterwegs, um seine Mutter in dem neuen Pflegeheim zu besuchen, in dem sie sich, wie sie ihm am Telefon immer wieder gesagt hatte, so wohl fühlte wie noch nie, und rang noch mit sich, ob er ihr schon andeuten sollte, dass er es sich ab nächstem Jahr möglicherweise nicht mehr würde leisten können, sie weiter dort leben zu lassen. Doch im Grunde, so sagte er sich immer wieder, ist ein Geheimdienstler immer im Dienst. Dieser Kondensstreifen, der da direkt über seinem Kopf an den Himmel gemalt war, sah merkwürdig aus.
Er zückte sein Handy und wählte eine Nummer, unter der sich sofort jemand meldete, noch während des ersten Klingelns.
»Ochsenfrosch hier«, sagte Hermann Hase. Es war strenge Vorschrift, auf dieser Leitung nur die Decknamen zu verwenden. Er wurde allerdings das Gefühl nie los, dass man ihm immer absichtlich besonders dämliche Tiernamen zuwies. »Ich bin unterwegs in der Region Südwest, auf der Straße von Duffendorf kommend Richtung Blaukirch, und beobachte ein verdächtiges Flugzeug. Könnt ihr mir sagen, was das ist?«
Mit einem elfenhaft feinen, prickelnden Geräusch fiel etwas neben ihm auf das Dach seines Autos. Hermann Hase streckte die Hand aus und nahm eines der kleinen braunen Körnchen auf, die da aus der Luft auf ihn herabgeregnet waren. Sie sahen aus wie Radieschensamen.
Seltsam. Er sah hoch und folgte dem weißen, blumenkohligen Wolkenband mit seinem Blick. Der Kondensstreifen begann irgendwo, dünn wie ein Strich, teilte den Himmel dann in zwei gleich große Hälften, wurde immer dicker und breiter und verschwand hinter der nahen Hügelkette, ungefähr dort, wo Blaukirch liegen musste. Mit einiger Phantasie konnte man meinen, das Ding sei abgestürzt.
»Man könnte meinen, das Ding sei abgestürzt«, sprach er in das Telefon.
Durch die Sichtluken sah Kelwitt die Planetenoberfläche wild und planlos umhertorkeln, und er begriff erschrocken, dass es nicht der Planet war, der ins Taumeln geraten war, sondern das Raumboot. »Tik!«, schrie er. »Was machen wir denn jetzt?!«
»Im Augenblick gibt es nichts zu tun«, beschied ihn die seelenlose Stimme.
»Aber wir stürzen ab! Wir werden jeden Augenblick auf der Oberfläche aufschlagen!«
»Das ist korrekt. Noch acht Mikroperioden bis zum Bodenkontakt«, erklärte Tik gefühllos. »Noch sieben … sechs … fünf …«
»Zum Geist der Verdammnis mit dir!«
Die Oberfläche des fremden Planeten kam heran wie ein geschwungener Hammer.
»Wer ist es?«
»Der Ochsenfrosch.«
Der Mann mit dem Bürstenhaarschnitt
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