Kennedy-Syndrom - Klausner, U: Kennedy-Syndrom
Spuren der letzten Nacht auf einen Schlag vertrieb. Da war auch Angst in ihr, mehr als ihr lieb war, und sie musste ihre ganze Kraft aufbieten, um sie zu unterdrücken. Die Sorge um ihre Tochter war allgegenwärtig, daran würde sich weder jetzt noch in Zukunft etwas ändern.
»Auf geht’s – oder haben Sie sich’s anders überlegt?« Die Stimme des Stasi-Beamten, welcher ihr die Handschellen abgenommen hatte, klang exakt so, wie sich ihr Besitzer, ein unscheinbarer Anzugträger um die 30, nach außen hin präsentierte. Abweisend, kaltherzig und bar jeglicher Emotionen. »Wenn ja, wäre es mir eine Freude, Sie dorthin zu verfrachten, wo Sie gerade hergekommen sind. Also, was ist? Haben Sie vor, hier Wurzeln zu schlagen, oder sehen Sie endlich zu, dass Sie verschwinden?«
»Letzteres«, murmelte Lea und ließ den Blick zwischen ihren Bewachern hin und her wandern.
Dann rannte sie los.
*
Zum Teufel mit der Vorsicht, mit den Amis, Russen und sämtlichen Ordnungshütern dieser Welt!, dachte Tom Sydow und mogelte sich an den beiden Kollegen vorbei, deren Aufmerksamkeit durch die Vorgänge auf der Brücke derart in Anspruch genommen war, dass sie dies erst viel zu spät bemerkten. In Momenten wie diesen musste man vor allem an sich selbst denken. An sich und die Menschen, die einem etwas bedeuteten.
Es kümmerte ihn einen Dreck, ob die Militärpolizisten ihn zum Stehenbleiben aufforderten oder hinter ihm herbrüllten oder ihn darauf aufmerksam machten, dass das, was er gerade tat, purer Leichtsinn und im Grunde lebensgefährlich war. Und es kümmerte ihn einen Dreck, welche Konsequenzen sein Handeln nach sich ziehen würde. In diesem Moment konnten ihm sämtliche Ordnungshüter dieser Welt, die eigenen Kollegen mit eingeschlossen, gestohlen bleiben. Und sämtliche Geheimdienste des gesamten Planeten, allen voran CIA, KGB, Staatssicherheit – oder wie diese staatlich gelenkten Syndikate auch immer heißen mochten. Sydow wollte jetzt nur noch eins: endlich seine Frau, die lachend und winkend auf ihn zurannte, in die Arme schließen. Und er wollte die Ereignisse der letzten 20 Stunden und sämtliche Abgründe, von denen aus er in die Tiefe gestarrt hatte, vergessen. Morgen war auch noch ein Tag, wenn auch einer, an dem nichts mehr so sein würde, wie es war. Das galt, wie ihm sehr wohl bewusst war, nicht nur für Berlin, sondern auch für ihn, Tom Sydow, von Beruf Kriminalhauptkommissar. Solange keine Klarheit darüber herrschte, was mit Veronika passiert war, würde die Kripo Berlin die zweite Geige spielen, ganz gleich, was der Herr Polizeipräsident oder sonst wer dazu sagen würde.
»Verspricht du mir etwas, Tom?«, flüsterte ihm Lea ins Ohr, nachdem sie sich aus seinen Armen gelöst, ihn gestreichelt und seine Hand ergriffen hatte, um die wenigen Meter, die sie vom Westufer der Spree trennten, hinter sich zu bringen. »Versprichst du mir, nichts unversucht zu lassen, um … um …« Dann versagte ihr die Sprache, und sie hatte Mühe, ihre Tränen zurückzuhalten.
»Ich werde sie rausholen, koste es, was es wolle«, nahm Sydow seiner Frau die Worte aus dem Mund, verstärkte den Druck seiner Hand und durchschritt mir ihr die Gasse der Schaulustigen, welche sich wie von selbst gebildet hatte. »Und wenn ich einen Tunnel buddeln muss!«
ACHT
»Ich könnte die Alliierten zum Handeln bewegen, wenn er [Chruschtschow] irgendetwas mit Westberlin anstellt, aber nicht, wenn er in Ostberlin etwas tut.«
(Präsident Kennedy gegenüber Walt Rostow,
Juli 1961)
›Kennedys Reaktionen auf den Mauerbau waren bewusst behutsam. Er blieb, wie geplant, bis zum Montagmorgen auf seinem Familiensitz und ließ lediglich durch das Außenministerium erklären, die Abriegelung West-Berlins habe keine Auswirkungen auf die alliierten Rechte in West-Berlin und den Zugang dorthin. In dieser zurückhaltenden Reaktion kommt zum Ausdruck, dass Kennedy die Berliner Mauer als Gottesgeschenk betrachtete.‹
(Aus: Robert Dallek: John F. Kennedy. Ein unvollendetes Leben. Frankfurt am Main 2007, S. 375)
ENTWARNUNG
Hyannis Port, Massachusetts
(13.08.1961)
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Kennedy Compound
| 13.05 h Ortszeit (19.05 h Berliner Zeit)
»Keinerlei Indizien für einen Militärschlag, sehe ich das
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