Kennedy-Syndrom - Klausner, U: Kennedy-Syndrom
an?«
Geradezu ein Muster an Gelassenheit, verzog San Románs Nachbar keine Miene, zündete sich eine Marlboro an und machte keinerlei Anstalten, auf die harsche Replik des ehemaligen Elitesoldaten zu reagieren.
»Sind Sie taub, oder warum geben Sie keine Antwort?«
»Keinesfalls, junger Mann, keinesfalls«, erwiderte der Angesprochene, den Blick in den Spiegel hinter dem Tresen gerichtet und offenbar nicht ganz bei der Sache. »Mir war nur daran gelegen, Ihnen mein Mitgefühl auszudrücken – mehr nicht.«
»Mitgefühl? Wie kommen Sie denn auf die Idee?«
San Románs Nebenmann, seinem Akzent nach zu urteilen Italo-Amerikaner, zog an seinem Glimmstängel und wog bedächtig das Haupt. »Wenn mich nicht alles täuscht, junger Mann, haben Sie mit den Kennedys oder der CIA oder mit beiden nicht sonderlich viel am Hut. Beziehungsweise noch eine Rechnung mit Ihnen offen.«
»Kann man wohl sagen.«
»Da fällt mir gerade ein: Kann es sein, dass ich Ihr Bild vor längerer Zeit in der Zeitung gesehen habe?«
San Román horchte auf. »Mein Bild? Wie kommen Sie denn darauf?«, lauerte er und blitzte seinen Nachbarn argwöhnisch an. »Hören Sie, Compañero. Wenn Sie denken, Sie könnten mich aushorchen, haben Sie sich geschnitten, klar?«
»Genau! Jetzt hab ich’s!«, triumphierte der Unbekannte in scheinheiligem Ton, ohne sich am Unmut seines Nachbarn im Geringsten zu stören. »Sie waren bei der Schweinebuchtinvasion dabei, stimmt’s?«
»Sagen Sie mal, sind Sie schwerhörig, oder was? Lassen Sie die Fragerei bleiben, sonst kriegen Sie es mit mir …«
»Wenn hier jemand schwerhörig ist, dann Sie, Compañero!«, fiel Giuseppe Andreotti, führendes Mitglied der Chicago-Mafia, dem aufgebrachten Latino ins Wort, und fügte, noch bevor dieser seine Verblüffung, überwunden hatte, in barschem Tonfall hinzu: »Gehe ich recht in der Annahme, dass wir beide, wenn schon nicht die gleiche Herkunft, so doch die gleichen Antipathien hegen? So was verbindet, finden Sie nicht auch?«
Bass erstaunt und beileibe nicht mehr ganz nüchtern, schob der ehemalige Anführer der Brigade 2506 sein Glas beiseite und wandte sich dem Mann, der die Frechheit besessen hatte, ihn, Pepe San Román, wie einen Rekruten zusammenzustauchen, mit angriffslustiger Miene zu. Und wurde angesichts des Pistolenhalfters, welches unter dem Trenchcoat seines Gesprächspartners hervorlugte, auf einen Schlag lammfromm. »Antipathien – was meinen Sie damit?«
»Schon gewusst, dass es hierzulande eine Menge Zeitgenossen gibt, die nicht unbedingt gut auf die Kennedys zu sprechen sind?«, fragte Andreotti und fuhr mit dem Zeigefinger an seiner Hakennase entlang, die von dunklen, bei San Románs Anblick jäh aufblitzenden Habichtsaugen flankiert wurden. »Brave Bürger, die – vulgär ausgedrückt – ihnen am liebsten eine Kugel durch den Kopf jagen würden?«
»So zum Beispiel ein paar hohe Herren von der CIA?«
»Falsch getippt, junger Freund. Ich bin nicht bei der CIA.« Andreotti setzte ein verschlagenes Lächeln auf. »Das heißt aber nicht, das wir nicht hin und wieder bereit sind, der Crème unter den Agenten den einen oder anderen Gefallen zu erweisen.«
»Wir«?
»Vorschlag zur Güte. Sie tun gut daran, nicht allzu viele neugierige Fragen zu stellen.«
»Und Sie, Compañero, tun gut daran, mich nicht für dumm zu verkaufen. Na schön, Sie arbeiten für die CIA. Oder – präziser ausgedrückt – für gewisse Herren, die es begrüßen würden, wenn sich jemand auftreiben ließe, der diesem Hosenscheißer ein paar Kugeln durch die Birne jagt. Jemand, der einen derartigen Hass auf die Kennedys hat, dass es ihm eine Freude wäre, diesen irischen Weichling wie einen räudigen Köter abzuknallen.« San Román pausierte, wandte sich ab und flüsterte: »Jemand wie mich, stimmt’s?«
»Ich sehe, wir verstehen uns«, freute sich Andreotti, zog einen Umschlag aus dem Trenchcoat und drückte ihn seinem Nebenmann in die Hand. »Bis bald, Compañero«, flüsterte er San Román beim Aufstehen ins Ohr, hochzufrieden, auf keinerlei Widerstand gestoßen zu sein. »Wir hören voneinander – beziehungsweise Sie von uns!«
E N D E
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