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Kerker und Ketten

Kerker und Ketten

Titel: Kerker und Ketten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
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Allahs, daß er mich das Antlitz des ruhmbedeckten Herrschers von Ifrikija schauen läßt! Meine Hand ist deine Hand, meine Lippen sollen deine Gnade verkünden. Ich biete mich dir zu Diensten an, großer Bej, und werde helfen, die Fahne deines Reiches zu weiterem Ruhm zu führen.«
    Das war eine wohlgesetzte Rede, die selbst dem Hartgesottensten schmeicheln mußte. Der Bej wurde sichtlich noch größer. Mit stolzer Geste strich er sich den schwarzen Bart. Wohlgefällig ruhten seine Blicke auf der Gestalt des Pfeifers. »Wie heißt du?« fragte er. »Man nennt mich kurz den Pfeifer«, sagte Michel langsam, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen; denn er hatte keinen arabischen Namen zur Hand. Da besann er sich glücklicherweise auf seine früheren Bekanntschaften, und da fiel ihm der Name des algerischen Seeräuberkapitäns ein. »Abu Hanufa al Dinaweri heiße ich.«
    »Du bist jung und siehst stark aus. Welcher Art sind die Dienste, die du mir anbieten kannst?« »Ich hoffe, daß du mir gestattest, deinen Sohn Hammuda Pascha zum besten Schützen im ganzen Morgenland auszubilden«, sagte Michel aufs Geratewohl; er hatte ja keine Ahnung, ob Hammuda überhaupt auf eine solche Ausbildung Wert legen würde.
    Der Bej war ziemlich verblüfft. Er saß auf seinem Pferd steif wie ein Buddha und schaute dumm drein. Michel war jedoch klug genug, ihn trotz seines augenblicklichen Gesichtsausdruckes nicht für dumm einzuschätzen. Ein Dummkopf hatte sicher nicht die Fähigkeit, Monarch eines Piratenstaates zu sein und eine wilde Bevölkerung voller Hinterhältigkeit und Intrigen am Zügel zu halten.
    »Du behauptest also, ein Schütze zu sein, der meinem Sohn noch etwas beibringen kann? Ich wiederhole, du bist kühn. Aber gut, beweise deine Schießkunst. Zuvor aber zeige mir dein Gewehr. Ich will sehen, wie die Waffe ausschaut, mit der du meinem Sohn überlegen sein willst.«
    Michel reichte ihm die Muskete. Der Bej betrachtete sie und hatte, als er sie zurückgab, einen verächtlichen Ausdruck im Gesicht.
    »Bei Allah«, sagte er, »ich habe kostbarere Gewehre gesehen, solche, deren Schäfte mit Gold und Silber ausgelegt waren und deren Kolben die herrlichsten Diamanten zierten. Vielleicht ist es eine gute Flinte. Ich habe noch nie ein Gewehr solcher Konstruktion gesehen.«
    Er blickte umher und wies dann auf eine in der Nähe stehende Kokospalme.
    »Sieh zu, ob du die am höchsten hängende Kokosnuß herabschießen kannst.«
    »Ich denke schon«, sagte Michel, riß das Gewehr hoch und drückte im gleichen Augenblick ab.
    Für ihn war das ein leichtes Ziel. Die Kokosnuß fiel zur Erde.
    »Maschallah, das muß eine Zauberflinte sein«, meinte der Bej und bedachte den Pfeifer mit einem langen Blick. »Du hast ja gar nicht gezielt!« »O doch, erhabener Herrscher, sogar sehr genau.«
    »Du hast das Gewehr hochgeworfen und abgedrückt, bevor der Lauf zur Ruhe kam. Es war Glück.«
    »Willst du die Gnade haben, mir ein anderes Ziel zu bezeichnen, das genauso schwierig zu treffen ist?«
    Der Bej schwieg für eine Weile. Michel blickte nun seinerseits umher. Seine Augen blieben auf einer Menschengruppe haften, die etwa hundert Meter weit entfernt war. Diese Menschen waren in das Joch einer schweren Karre gespannt, Sklaven, die von den Peitschen zweier Aufseher erbarmungslos angetrieben wurden. Einer der Männer fiel hin. Die Aufseher waren schnell dabei, ihn mit ihren Nilpferdpeitschen wieder auf die Beine zu bringen.
    Die Lippen des Bej kräuselten sich unter dem Bart. »Dort hast du ein bewegliches Ziel«, sagte er und deutete auf den Taumelnden.
    Michel überlief eine Gänsehaut. Trotz der Schwermut aber, die ihn beim Anblick jener Jammergestalten befallen hatte, arbeitete sein Verstand schnell.
    »Erhabener Bej«, antwortete er, »Allah würde mir zürnen, wenn ich auf einen hilflosen Menschen schösse. Und ganz abgesehen davon ist das Ziel für mich viel zu leicht. Der jüngste Soldat deiner ruhmreichen Heere, o Effendim, würde es nicht verfehlen.« Bedrückendes Schweigen. Dann meinte der Bej langsam:
    »Gut, so will ich dir ein Ziel suchen, das schwerer zu treffen ist. Wenn du es triffst, so sollst du der Schießlehrer meines Sohnes Hammuda Pascha werden. Aber —wenn der Schuß daneben geht, lasse ich dir den Kopf abschlagen. Das ist der Handel, den ich dir anbiete. Sieh, dort drüben, eine weiße Taube auf dem Dach! Das ist dein Ziel.«
    »Alle guten Geister«, murmelte Michel erschrocken in seiner Muttersprache, »so nahe stand

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