Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kerker und Ketten

Kerker und Ketten

Titel: Kerker und Ketten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
Vom Netzwerk:
zwar ein Unglück für sie; aber ich sagte ja bereits, daß wir nichts unversucht lassen werden, ihr zu helfen. Sie hat uns aus den Steinbrüchen von El Mengub befreit, und wir befreien sie entweder aus den Händen von Menschenräubern oder aus den Gittern eines Harems.« Sie trabten stadtauf, stadtab, durch Gassen und Straßen, an armseligen Hütten vorbei, vorüber an den Fensterfronten des Palastes, über Märkte und durch Menschenansammlungen hindurch. Sie scheuchten Händler auf und ließen wildes Geschimpfe über sich ergehen, wenn sie die Ruhe eines Bettlers gestört hatten. Und sie kamen zum Schluß an das Ufer des Bahira-Sees, der Tunis vom Hafen Goletta trennt. Am nördlichen Gestade des großen Sees, zwischen dem Wasser und dem berühmten Olivenhain von El Auina, ritten sie dahin, und wandten sich dann, als sie die Küste des Golfs von Tunis erreichten, scharf nach Süden, wo sie über die Landzunge nach dem Ort Goletta kamen.
    Es mochte vier Uhr nachmittags sein, als sie mit scharfen Augen das Hafenbecken absuchten, um die Schiffe zu betrachten, die dort ankerten. Es waren nicht viele. Zu dieser Zeit konnte man überhaupt noch nicht von einem Hafen in unserm heutigen Sinne sprechen. Der neue Hafen von Tunis wurde erst 1893 in Gebrauch genommen. Bis dahin gab es weder Molen noch Anlegestege noch Kais. Schiffe ankerten vor der Küste, Beiboote brachten Waren oder Menschen an den Strand. Dafür waren die Gewässer hier ideale Fischgründe für die Bewohner der Dörfer von Karthago bis Kairuan.
    Michel bemerkte in nicht weiter Entfernung Fischer, die eifrig damit beschäftigt waren, gefangene Fische zu töten und in Körbe zu verpacken, um sie dann auf den Markt zu bringen. Diese Leute mußten nach menschlichem Ermessen über ein- und auslaufende Schiffe informiert sein. Kurz entschlossen drückte er seinem Pferd die Hacken in die Weichen und sprengte im Galopp auf die Fischer zu. Ojo folgte ihm mit gleichem Tempo.
    »Heda, ihr Gläubigen, ihr gesegneten Kinder Mohammeds, wollt ihr euch ein Bakschisch verdienen?«Er hatte einige kleine Silbermünzen aus dem Beutel genommen und warf eine davon unter die Fischer.
    Die unerwartete Gabe wurde mit tosendem Gebrüll begrüßt. Es begann eine heftige Rauferei um den Besitz dieser Münze. Langsam lichtete sich der Knäuel, und ein dürftiges Männchen, einen Kopf kleiner als die anderen, schälte sich heraus.
    »Allah — Wallah — Tallah, beim Barte des Propheten, ich habe es. Und wer es mir streitig machen will, den schicke ich in die Dschehenna«, schrie ein kleines, dünnes Stimmchen. Michel mußte über die Komik dieser Szene schallend lachen. Er hatte sich weit genug in die Sitten des Morgenlandes eingelebt, um zu wissen, daß es drei Dinge gab, die das Wesen des Orientalen bestimmen: Bakschisch, Haschisch, maalisch.
    Der Araber, der Türke, der Inder — eigentlich alle Völker des Südens — sind bestechlich. Der Bakschisch ist das Sesam-öffne-dich für alles. Für ein Trinkgeld kann man Pässe bekommen, zu Amt und Würden gelangen, unbrauchbare Waren über die Importländer in den Handel bringen, Torhüter bestechen und, wenn nötig, bis zu den höchsten Würdenträgern vordringen. Haschisch ist ein Rauschgift, das man mit Honig vermengt und entweder kaut oder, zu Kügelchen gedreht, mit Tabak vermischt genießt. Vom zehnjährigen Knaben bis zum Greis ist alles dem Genuß des Haschischs verfallen. Dieses Gift zerrüttet systematisch Gesundheit, Charakter und Leben der Bevölkerung. Es gaukelt den Armen glückliche Stunden vor und beseitigt bei den Reichen die letzten Hemmungen ihrer Genußsucht. Maalisch ist ein Begriff, der nur dort Bedeutung erlangen kann, wo die Sucht nach dem Bakschisch und dem Haschisch gedeiht. Es ist der vollendete Ausdruck der absoluten Gleichgültigkeit, der Ergebenheit in ein unabänderliches Schicksal, das vorbestimmt ist und dem niemand entgehen kann.
    Michel Baum zog jetzt eines seiner goldenen Zwanzig-Piaster-Stücke hervor, hielt es zwischen Daumen und Zeigefinger über den Kopf und rief:
    »Wer dieses Bakschisch verdienen will, der möge herkommen und mir eine Auskunft geben. Wer mir meine Fragen am besten beantwortet, soll es erhalten,«
    Der ganze Haufen, der sich soeben noch um das kleine Silberstück gerauft hatte, geriet in Bewegung. Jeder wollte als erster die Fragen des sonderbaren Fremden beantworten. Bald hatten die Fischer beide Pferde umringt und schauten aus erwartungsvollen Augen zu Michel auf. »Wer von euch

Weitere Kostenlose Bücher