Kerker und Ketten
kann mir etwas über einen türkischarabischen Mädchenhändler erzählen, dessen Name Mustapha ist?«
Gespannt blickte er auf die Gesichter der Umstehenden.
Eisiges Schweigen schlug ihm entgegen. Kein einziger schien mehr Lust zu haben, das Goldstück zu erhäschen. Die Furcht vor Mustapha war stärker als die Sucht nach einem so beträchtlichen Gewinn.
Michel stellte noch ein paar Fragen, wobei er die Fischer aufmerksam beobachtete. Er erhielt nicht eine einzige Antwort. Langsam verliefen sie sich und gingen ihrer Arbeit nach. Michel und Ojo wandten ihre Pferde und ritten im Schritt an der Küste nach Norden. »Ihr habt sie nach Mustapha gefragt, Senor Doktor?«
»Ja, Diaz. Ich habe den Eindruck, daß alle ihn kennen. Er scheint ein sehr gewalttätiger Mensch zu sein, wennsie sogar ein Goldstück aus Furcht vor ihm ausschlagen.« Während sie so dahinritten, hatte Ojo das Gefühl, daß ihnen jemand folgte. Er drehte sich um und sah auf einmal einen Kopf über den Dünen, der sich schnell in gleicher Richtung bewegte wie sie. Die Fischer waren nicht mehr zu erkennen. Plötzlich hörten sie eine Stimme. »Sayd! Sayd!« rief jemand mit keuchender Lunge.
Ein Mann kam jetzt in wildem Lauf über die Grashügel gejagt. Schweiß lief ihm vor Anstrengung in Strömen über das Gesicht. Es war der kleine Mann mit dem dünnen Stimmchen.
Die beiden Reiter verhielten ihre Pferde. Der Kleine war heran und sagte:
»Sayd, auch ich habe große Angst vor Mustapha, aber meine Frau ist krank, und so will ich mir das Bakschisch verdienen. Wirst du es mir auch bestimmt geben?«
Michel tat das Männchen leid. Er warf ihm ein Goldstück zu und sagte: »Nimm das. Und wenn mich deine Auskunft befriedigt, so erhältst du ein weiteres.«
»O Effendim, deine Gnade ist so groß wie die Allahs, und deine Güte ist wie die des Propheten. Ich kann dir sagen, daß Mustapha zum letztenmal hier war, als es noch regnete. Ich kann mich an den Tag, da sein Schiff ausgelaufen ist, noch genau erinnern, denn an diesem Tag erblickten meine Augen die schönste Frau, die Allah je erschaffen hat, obwohl sie eine Ungläubige ist —
Er erzählte nun von einer weißen Frau mit roten Haaren, die der Sklavenhändler Mustapha wie seinen Augapfel gehütet habe, weil sie ihm am Hof des Großherrn in Istanbul schweres Geld einbringen sollte. Michel wurde hellhörig.
»Eine schöne weiße Frau mit roten Haaren?« fragte er, um ganz sicher zu gehen. »Ja, Sayd, sie war sehr schön, und sie trug keinen Sdileier, sondern ließ jedermann in ihr engelgleiches Antlitz schauen.«
Michel teilte das Gehörte Ojo mit. Der war närrisch vor Freude.
»Wie gut, Senor Doktor, daß wir hierher geritten sind. Nun brauchen wir nicht mehr zu suchen!« Michel nickte. Dann wandte er sich abermals an den kleinen Mann und fragte: »Kannst du mir sagen, ob das Schiff einen Namen hat?«
»O Sayd, natürlich hat es einen Namen. Es gehört zu den berühmtesten Seglern, die unsere Stadt anlaufen, und heißt »Mapeika«.«
Der Pfeifer unterhielt sich noch eine Weile mit dem Kleinen, bis er auch die letzten Einzelheiten erfahren hatte. Er wußte nun, daß die »Mapeika« gute vier Monate Vorsprung hatte, und er ahnte, daß es auch in Konstantinopel nicht leicht fallen würde, Marinas Spur weiter zu verfolgen. Er warf dem Mann ein weiteres Goldstück zu, das dieser unter vielen Dienern und mit weitschweifigen Lobpreisungen entgegennahm.
50
Die Sonne stand schon tief im Westen.
Ojo und Michel ritten wieder durch die Gassen der Stadt. Von Zeit zu Zeit verhielt der Pfeifer sein Pferd und betrachtete aufmerksam jene Häuser, an denen eine verschnörkelte Inschrift zur Ruhe einlud.
»Ob wir wohl eine Herberge finden, die frei von Ungeziefer ist?« fragte Ojo. »Ich denke schon, amigo. Wenn es in der Oberstadt vergeblich sein sollte, so wenden wir uns zum Ghetto. Ich habe in Algier die Erfahrung gemacht, daß es in den ärmlichen Häusern der Juden sehr sauber ist.«
»Ich wundere mich über die Zähigkeit der Juden«, meinte Ojo, »in meiner Heimat können sie ihres Lebens nicht froh werden, wenn sie sich nicht taufen lassen. Trotzdem halten sie überall durch. Daß sie sich selbst hier unter diesen fanatischen Mohammedanern behaupten können, verwundert mich sehr.« Michel zuckte mit den Schultern. »Nun, ein starker Glaube vermag vieles. Das Leiden ist die Tradition der Juden seit ihrer Austreibung aus Palästina. Und wir wissen, daß Traditionen stärker sind als ungerechte
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