Kerker und Ketten
Man wagte kaum zu atmen.
Plötzlich wurde die Nacht von einer schnellen Folge der berühmten Teufelstriller zerrissen. Es dauerte auch nicht lange, so kamen zwei Posten herzugeeilt.
»Er bi din u mäd häba!« fluchte der eine. »Was ist los, du Hund? Beim Schejtan, kuss omek!« Er holte aus und schlug auf Michel, der plötzlich verstummte, sich aber nach hinten warf, so daß die Peitschenschnur sich in den Gitterstäben verfing.
Auf diesen Moment hatte Michel gewartet. Noch ehe der Posten die Schnur gelöst hatte, war er wieder vorne, griff durch die Stäbe hindurch und packte den Wächter beim Hals. Für eine Sekunde blitzte der Dolch im Mondlicht. Dann hing eine leblose Gestalt in Michels Armen. Der zweite wollte seinem Kameraden zu Hilfe kommen; denn er hatte nicht bemerkt, daß dieser seinen letzten Atemzug bereits getan hatte. Da aber stand auch Ojo schon am Gitter. Er hob die Hand, ballte sie zur Faust und ließ sie auf den Schädel des anderen niedersausen. Der Mann sank stöhnend zusammen.
In fliegender Eile tastete Michel die Gürtelschärpe des Erdolchten ab. Gott sei Dank. Dort hing ein großer, primitiv gearbeiteter Schlüssel, der wahrscheinlich zu allen Zellentüren paßte. Ein Griff, und Michel hatte ihn in der Hand.
Mit zitternden Fingern versuchte er, den Schlüssel von außen ins Schloß zu bringen und umzudrehen. Es gelang.
Sekunden später standen die Sträflinge im Freien, und die beiden Toten wurden in die Zelle geworfen.
»Tut jetzt nur, was ich sage. Wir müssen die gesamte Wachmannschaft überwältigen und wenn irgend möglich Waffen erbeuten. Auch Pferde brauchen wir oder Kamele. Schleicht hinter mir her!«
Bis zum Wachturm waren es gut tausend Fuß am Ufer des Flusses entlang. Glücklicherweise sah man draußen keinen weiteren Posten.Aus einem Durchbruch im Turm schimmerte Licht. Michel sammelte seine Freunde um sich und gab seine Anweisungen:
»Ojo, du gehst mit mir. Auch Abu Hanufa begleitet mich. Deste übernimmt hier draußen die Aufsicht und sorgt dafür, daß alles still bleibt, ganz gleich, was drinnen passiert. Los!«
Sie drückten die schwere Steintür auf und standen an der Treppe, die in den Turm hinaufführte.
Schritt für Schritt legten sie vorsichtig zurück. Die Treppe aber war aus Holz, ein Knarren war nicht zu vermeiden. Oben erschien ein Janitschar in der Tür und fragte:
»Weshalb schleichst du so herauf, Halef? Deine Postenzeit ist doch noch gar nicht beendet.
Warum gibst du keine Antwort?«
Michel knuffte Abu Hanulfa in die Seite. Der antwortete daraufhin in undeutlichem Ton:
»Draußen stimmt etwas nicht. Ich habe Ali gesucht, habe ihn aber nicht gefunden.«
Der oben wurde mißtrauisch. Die Stimme klang ihm fremd.
»Sieh noch einmal nach. Ali muß an seinem Posten sein. Hier ist er nicht.«
In diesem Moment stürmte Michel voran. Die beiden anderen folgten ihm auf dem Fuße. Im Nu hatten sie den Mann in der Tür überrannt und drangen in die eigentliche Wachstube ein.
Acht Mann saßen da und starrten erschrocken auf die Fremdlinge. Bis sie erkannt hatten, wen sie vor sich hatten, vergingen kostbare Sekunden.
Ojo stürzte sich auf den, der ihm am nächsten war, riß ihm das Gewehr aus der Hand und schlug mit dem Kolben wie ein Wilder auf die anderen ein. Das war allerdings nicht vorgesehen, verfehlte aber, wie Michel feststellte, nicht seine Wirkung.
Um die Situation restlos zu verwirren, begann Michel zu pfeifen. Schauerlich klangen die Tonfolgen durch den Raum.
Wo Ojo hinschlug, sank jeweils ein Mann in die ewige Nacht. Auch Michel ging nicht gerade zart mit den Schindern um. Hier wäre jede Schonung fehl am Platze gewesen, denn sie konnte leicht das eigene Leben kosten.
In wenigen Minuten war die Arbeit getan. Man hatte acht schlechte Araberflinten erbeutet. Das machte, mit den beiden vorhin erbeuteten, zehn Gewehre für vierundvierzig Mann. Nicht viel, aber besser als gar nichts.
Michel, der seine Zeit im Steinbruch gut genutzt hatte und jetzt recht gut die arabische Sprache verstand, fragte den einzigen, der noch lebte, wo sich die Waffen befänden, wieviel Janitscharentruppen in El Mengub lägen und woher man Pferde bekommen könnte. Doch der Kerl biß die Lippen zusammen und sagte kein Wort. Michel setzte ihm drohend den Dolch auf die Brust.
»Allah verdamme dich, Giaur!« zischte der Bedrängte. »Laß das Schimpfen! Sprich, sonst bist du ein toter Mann!«
»Lieber lasse ich mir die Haut in Streifen vom Leibe schneiden, ehe ich ein
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