Kerker und Ketten
holen, schaute er sich um.
Dort standen sie, beziehungsweise saßen sie. Die spanischen Soldaten und der Padre Geronimo, die Marina noch nie zuvor gesehen hatten, alle starrten sie wie ein Wunder aus einer anderen Welt an.
Ojo saß stumm auf seinem viel zu kleinen Gaul und schien durch die Frau hindurchzublicken. Jardin nahm ebenfalls keine Notiz von ihr. Deste blinzelte zu Michel hin und tat sehr unbeteiligt. Nur der alte Porquez machte seiner Stimmung Luft.
»Por demonio!« rief er krächzend. »Kommt uns dieses Weib schon wieder in den Weg? Ich wünschte, sie säße in der Hölle und briete am Spieß des Teufels.«
Abu Hanufa und Ibn Kuteiba blickten das unverhüllteWunder an fraulicher Schönheit an und bedauerten wahrscheinlich, daß sie nicht Europäer waren. Ihren Mienen jedenfalls sah man nur eine Regung an, und das war höchste Bewunderung für soviel Vollkommenheit. Der Pfarrer kletterte unbeholfen von seinem Pferd und kürzte durch sein Dazwischentreten die peinliche Situation ab.
»Wer Ihr auch sein möget, Senorita, nehmt meinen vollen Dank von ganzem Herzen an. Gott hat Euch zum Werkzeug der Befreiung ausgesucht. Ohne Zweifel verdanken wir seiner Gnade und Euerm Mut unsere Rettung.«
Er drückte der Frau, in deren Innern Vulkane aufbrachen, wenn sie Michel in seiner kühlen Gelassenheit ansah, die Hand.
»Ihr seid ein Mönch?« fragte Marina mit ungewollter Schärfe.
»Pater Geronimo nennen mich meine Soldaten. Ich bin ihr Seelsorger, ja. Nehmt meinen Dank für sie alle.«
Der nächste, der aus seiner Starrheit erwachte, war der Leutnant, den Michel bei dem Überfall auf das Lager niedergeschlagen hatte. Er besann sich auf seine Kavaliersmanieren, stieg ebenfalls vom Pferd und näherte sich mit einer galanten Verbeugung der Frau, die immer nur auf Michel starrte.
»Auch ich möchte nochmals unseren Dank abstatten, schöne Senorita. Ich bin der Führer dieser spanischen Soldaten, denen es mit Eurer Hilfe gelang, die Ketten zu durchbrechen. Diego de Bajantes ist mein Name.« Er küßte der schönen Frau andächtig die Hand.
Deste, Ojo, Porquez und Jardin hatten sich um Michel geschart. Sie fühlten die Spannung, die in der Luft lag. Wie immer verließen sie sich ganz auf ihren Pfeifer. Die beiden Araber hielten sich abseits. Sie mochten spüren, daß sie hier in diesem Augenblick nicht dazugehörten.
Michel hatte sich inzwischen wiedergefunden. Auf irgendeine Weise mußte er zumindest der Höflichkeit Genüge tun; denn die an den früheren Erlebhissen Unbeteiligten konnten seine Art der Retterin gegenüber selbstverständlich nicht verstehen.
»Ihr habt viel gewagt, Gräfin«, sagte er leichthin. »Niemand wird Euch Mut absprechen wollen. Bien, Ihr seid ja bekannt dafür, daß Ihr stets viel wagt. Meistens gewinnt Ihr den Einsatz. Habt Ihr Pläne, wie die Sache weitergehen soll?«
Marina wäre ihm am liebsten ins Gesicht gesprungen. Alle ihren guten Vorsätze stürzten in dieser Minute in Nichts zusammen. Bevor sie jedoch antwortete, hatte sie sich wieder in der Gewalt.
»Ohne meine treuen Begleiter wäre ich wohl der Aufgabe nicht gewachsen gewesen.« »Ah, Ihr seid nicht allein?«
In diesem Augenblick traten zwei Männer hervor, die ebenfalls arabisch gekleidet waren. Den einen hätte man für echt halten können. Das war Guillermo. Dem anderen sah man den Europäer schon von weitem an.
»Guillermo kennen die Senores ja von der »Trueno«, nicht wahr?« fragte jetzt Marina mit blitzenden Augen. »Dieser caballero hier ist aus England und zufällig auf mein Schiff verschlagen worden.«
»Welche Unverschämtheit!« fuhr der alte Porquez dazwischen. »Sagtet Ihr »mein« Schiff? Ihr scheint ein schlechtes Gedächtnis zu haben, zumindest was Mein und Dein anbetrifft.« Die spanischen Soldaten staunten. Sie wußten ja nicht, worum es eigentlich ging.Der Pater sah verblüfft drein.
»Ich muß schon sagen, sehr höflich sind die caballeros nicht zu jemandem, der ihnen gerade das Leben gerettet hat. Ich hätte mehr von Euch erwartet, Doktor«, wandte er sich an Michel. Michel verzog spöttisch das Gesicht.
»Oh, Padre, macht Euch nichts draus. Ihr werdet vermutlich noch mehr Überraschungen erleben, wenn Ihr erst Pfarrer auf einer Seeräubergaleone seid.« Michel lachte auf.
Die Kontroverse wollte schärfere Formen annehmen. Da rief einer der etwas zurückgebliebenen Reiter, der erst jetzt herankam:
»Adelante, companeros! Macht euch fertig zum Gefecht. Die Verfolger aus der Stadt müssen
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