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Kerker und Ketten

Kerker und Ketten

Titel: Kerker und Ketten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
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Handgelenke.

8
    Langsam sank die Sonne hinter den Horizont, und die Gefangenen wankten den Weg in die Verliese zurück. Immer dunkler wurde es. Die Dämmerung in Afrika war kurz. Der Tag ging fast in die Nacht über. Als sie in den Kralen lagen, kam draußen am Himmel der volle Mond zum Vorschein. Michel hätte fast einen Freudenschrei ausgestoßen. Das war das große Wunder. Der Mond spendete so viel Helligkeit, daß man in der Nähe des Gitters ein Buch hätte lesen können.
    Als die Fütterung vorüber war, griff Michel unter die Fetzen, die früher einmal sein Hemd gewesen waren, und nestelte das Päckchen hervor.
    Mit zitternden Fingern öffnete er es und hielt zwei Gegenstände in der Hand — — eine scharfe Feile und einen---Dolch, um dessen Griff ein Stück Papier gewickelt war.
    Michel verbarg die Gegenstände hastig zwischen sich und der Wand.
    »Carlos«, flüsterte er Deste zu, »ich möchte ein wenig frische Luft am Gitter schnappen. Nimm du meinen Platz ein.«
    Deste gehorchte zögernd. Er sah keinen Grund für das plötzliche Bedürfnis des Pfeifers nach frischer Luft. Michel zerrte an seinen Ketten, bis er am Gitter war, nachdem er auf mehrere Menschen getreten hatte, die wütende Flüche zwischen den Zähnen zerdrückten. Ein Schüttelfrost packte Michel, als er den Zettel mit den wenigen Zeilen ins Mondlicht hielt.
    »Senor Baum, seht zu, daß Ihr Euch befreien könnt. Ich warte drei Nächte auf Euch am nördlichen Fuß des Dschebel Arrarat. Bis dorthin ist es von Euerm Verlies aus nicht weiter als eine Meile. Ein Freund.«
    Wer mochte der Fremde sein? Der Brief war in spanischer Sprache von einer geübten Hand geschrieben. Das sah man sofort. Gleichgültig. Es war die erste Chance, die Freiheit wiederzugewinnen.
    Michel arbeitete sich auf seinen Platz zurück, den Deste sofort verließ.
    »Padre«, wandte sich Michel an den Pfarrer, »wie ist es? Ihr habt mir meine Frage von gestern noch nicht beantwortet.« »Welche Frage?«
    »Würdet Ihr mich noch für einen Ketzer halten, wenn es mir gelänge, uns alle hier aus dieser Zelle zu befreien?«
    »Diese Frage ist müßig, Doktor. Es ist unmöglich, hier herauszukommen. Selbst draußen könnten wir nicht weiter. Die Ketten wären bei einer Flucht unser Verderben.« Michel reichte ihm etwas hinüber. »Was ist das?«
    »Befühlt es nur recht sorgfältig. Dann werdet Ihr es schon merken.« »Mein Gott — — eine — — Feile?!«
    »Hört Freunde«, sagte Michel laut genug, so daß es alle hören konnten, »wollt Ihr einen Versuch wagen, der Euch die Freiheit wiederbringt, selbst wenn er das Leben kosten sollte?« Überraschtes und zustimmendes Murmeln war die Antwort.
    »Gut, so bildet jetzt einen dichteren Haufen, damit ich nicht so laut reden muß. Jemand hat mir eine Feile zugesteckt. Wenn wir mit äußerster Anstrengung arbeiten, so können wir die
    Verschlußösen der Ketten an unseren Handgelenken in ein paar Stunden durchgefeilt haben. Die Eisenringe müssen wir natürlich drumbehalten. Hauptsache, die Ketten sind erst einmal weg.«
    Eine ungeheure Erregung bemächtigte sich aller. Die Feile wurde herumgereicht. Man nahm sie wie ein Heiligtum in die Hand.»Überlegen wir nicht lange, sondern fangen wir an. Wir müssen noch während der Dunkelheit hier heraus. Sonst ist der ganze Plan mißlungen.«
    Das leise Geräusch des Feilens ertönte bereits. Ojo machte den Anfang.
    »Und was soll dann weiter geschehen?« fragte der Pfarrer.
    »Das laßt meine Sorge sein. Hauptsache, ihr alle tut genau, was ich sage.«
    Die zustimmenden Worte wurden immer lauter, so daß Michel Ruhe gebieten mußte.
    Nach etwa fünf Minuten stieg ein unterdrückter Freudenschrei aus Ojos Kehle auf.
    »Ich bin frei«, jubelte er.
    »Weiter, weiter!« drängte Michel. »Du bist nicht der einzige. Wir sind über vierzig.«
    Dieses Vorwurfs hätte es nicht bedurft. Ojo feilte bereits seinem Nachbarn die Ösen durch, als gelte es, einen Rekord aufzustellen. Mit seiner ganzen Körperkraft drückte er auf die Feile, die sich in das Eisen fraß, fast so schnell wie eine Laubsäge ins Sperrholz.
    So angestrengt sie auch arbeiteten, es dauerte immerhin über fünf Stunden, bis sie alle frei waren. Eine wahre Rekordleistung und trotzdem noch zu langsam.
    Sollen wir uns jetzt an das Gitter machen?« fragte Ojo.
    »Nein. Das würde zu lange Zeit in Anspruch nehmen. Wir müssen es mit einem Trick versuchen.«
    Michel drängte seinen Kopf dicht an die Stäbe. Alles wartete gespannt.

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