Kerker und Ketten
will hoffen, daß es eine gibt. Sowie wir von hier fort können, reiten wir nach Algier. Dort wird es sich zeigen, ob noch eine Hoffnung besteht. Ich weiß nicht, wie weit der Krieg gegen die Spanier gediehen ist. Ich hoffe aber, daß Baba Ali noch nicht in seine Residenz zurückgekehrt ist, sonst---.«
»Was sonst?«
»Sonst müssen wir damit rechnen, daß Eure Schwester nicht mehr unter den Lebenden weilt. Der Daj vollstreckt eigenhändig die Urteile an geflohenen Sklavinnen.« Steve packte Michel am Arm und schüttelte ihn.
»Wir dürfen keine Minute verlieren, Sir, wir müssen noch heute Nacht reiten. Sagt mir, mit welchen Grausamkeiten bestraft der Daj aufgegriffene Sklaven?«
Michel wickelte das letzte Stück Tuch um die Wunde eines Soldaten. Dann stand er auf und sagte:
»Im Augenblick kann ich für die armen Teufel nichts weiter tun. Wir müssen abwarten, was die nächsten Stunden bringen. Kommt, Mr. Hawbury, beziehen wir draußen Posten, und dann erzähle ich Euch, was ich weiß.«
Steve folgte sofort. Marina war zwar nicht aufgefordert worden, schloß sich aber mit einer sonderbaren Selbstverständlichkeit den beiden Männern an. Es verbat sich auch niemand ihre Begleitung.
10
Die Sonne war inzwischen höher gestiegen. Es mußte bald Mittag sein.
Weiter draußen im Gelände hatte man zwei Posten aufgestellt, die sofort das Nahen eines Feindes zu melden hatten.
Michel und Hawbury ließen sich mit Marina hinter der Hecke nieder, von der aus sie vorhin auf die Angreifer gefeuert hatten.
»Well«, eröffnete Michel die Unterhaltung. »Die Strafe für entflohene Sklavinnen ist ein Krummsäbel ins Genick. Wenn sie ihn überlebt, so wird sie zumindest für alle Zeiten ein steifes Genick behalten, das heißt, natürlich nur, solange sie nicht in Behandlung europäischer Ärzte ist. Aber ich fürchte, sie wird den Schlag nicht ohne weiteres überleben. Ja, ich bin ehrlich, ich fürchte das Schlimmste.«
»Mein Gott«, jammerte Steve, »und Ihr, der Ihr dies wißt, sitzt hier so ruhig, als ginge Euch das überhaupt nichts an. Dabei war doch sie es, die Euch rettete!« Michel sah ihn lange an. Dann antwortete er bedächtig:
»Ihr habt eine schlechte Meinung von mir, Mr. Hawbury, wenn Ihr annehmt, ich hätte vergessen, was Eure Schwester für mich getan hat. Natürlich nicht. Nur hatten wir ja leider das Pech, monatelang hier im Steinbruch eingesperrt zu sein, wie« — er blickte wieder zu Marina hin — »Ihr ja wohl bei Euern Nachforschungen nach uns erfahren haben werdet, nicht wahr?« Die Gräfin bejahte, enthielt sich aber jeder weiteren Äußerung.
»Versteht mich nicht falsch«, meinte Steve gequält, »ich will Euch ja nicht verurteilen. Nur, warum sitzen wir hier jetzt noch in aller Ruhe und warten auf die Araber, anstatt schnellstens die Flucht zu ergreifen und nach Algier zu reiten! Dort werden sich sicherlich Möglichkeiten zur Befreiung meiner Schwester bieten, wenn sie noch am Leben ist. Ihr müßt wissen, ich spreche ganz gut arabisch, denn ich war ja nicht umsonst jahrelang auf der Kolonialschule.« Michel schüttelte den Kopf.
»Das nützt alles nichts. Erstens können wir die Verwundeten hier nicht im Stich lassen. Zweitens haben wir keine Lebensmittel und keine Wasserschläuche, die wir aber unbedingt brauchen, wenn wir die Salzsümpfe durchqueren wollen. Drittens möchte ich, bevor wir reiten, wissen, wie der Krieg gegen die Spanier steht und ob der Daj schon zurückgekehrt ist. Man kann sich nicht Hals über Kopf in ein Abenteuer stürzen ohne jede Voraussetzung. Sonst können wir uns nur wenig Erfolg davon versprechen und geraten in Gefahr, selbst dabei umzukommen. Davon hättet weder Ihr noch Eure Schwester etwas.« »Aber sobald die Möglichkeit besteht, reiten wir!«
»Ja, natürlich. Das Schicksal Eurer Schwester, die ein sehr tapferes Mädchen ist, liegt mir am Herzen. Außerdem habe ich noch eine andere Sache in Algier auszufechten, die auf keinen Fall allzulangen Aufschub duldet.«
»Well, Mr. Baum. Dann gestattet, daß ich jetzt einmal nach unseren Sachen sehe. Ich bin zu nervös, um hier in Ruhe sitzen zu können.«
»Geht ruhig. Aber gebt auch ein wenig mit acht, daß wir nicht von einem Angriff überrascht werden.«
Steve Hawbury entfernte sich. Marina und Michel waren allein. Michel starrte schweigsam über die Hecke. Ihm war dieses Zusammensein unangenehm.
»Euer Pferd habe ich übrigens immer gut versorgt«, brach Marina unvermittelt die lastende Stille. »Es hat
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