Kerker und Ketten
würde — — begleitet von seinen Soldaten. Was sollte er tun? Die Lage war heikel. Aber lieber wollte er auf die Piaster verzichten, als sich noch einmal der Gefahr aussetzen, wieder in jenem »Staatsgefängnis« zu landen.
Kaum war Don Hernando verschwunden, als Michel aufsprang, um auf demselben Weg, den er gekommen war, das Zimmer und das Haus wieder zu verlassen, nämlich durch das Fenster. Da fiel sein Blick auf den Eiskübel, in dem das Eis fast geschmolzen war. Nur noch ein paar Stückchen schwammen im Wasser herum.
Michel schien heute seinen boshaften Tag zu haben. Er nahm schnell den Kübel und befestigte ihn mittels einer Gardinenschnur so über der Tür, daß sich sein Inhalt über den ergießen mußte, der als erster das Zimmer betreten würde. Dann verschwand er durch das Fenster.
37
Er wandte sich dem Hause Hamids zu. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als hier doch noch einmal sein Glück zu versuchen. Erstens wußte er, daß sein Pferd im Stall des Arabers stand, und zweitens wollte er die Stadt auf keinen Fall ohne sein Geld verlassen. Das war er seiner und Ojos Zukunft schuldig. Außerdem sagte er sich, daß es dem Ruhm des Pfeifers schlecht anstünde, wenn er um der eigenen Sicherheit willen auf sein Recht verzichtete.
Bei dem gewagten Spiel war, wie immer bei den Menschen, auch ein wenig Eitelkeit die Triebkraft.
Diesmal fing er es jedoch klüger an. Er malte sich aus, daß der Gouverneur im selben Augenblick, da er merkte, daß er, Michel, das Weite gesucht hatte, Alarm gebenwürde. Man würde dann zuerst die nähere Umgebung des Palastes in Augenschein nehmen. Diese Zeit mußte genutzt werden. Die Posten, die Hamids Haus sicherten, würden sehr schnell erfahren, daß der Gesuchte beim Gouverneur »zu Gast« gewesen war. Ihre Aufmerksamkeit, die ohnedies nicht besonders groß war, würde in diesem Augenblick völlig einschlafen. Vielleicht verließen sie sogar ihre Posten. Er sollte sich nicht geirrt haben.
Als er sich dem Haus seines Feindes näherte, hörte er plötzlich Hornrufe durch die Stadt schallen. Der Hornist blies zum Sammeln. Allerdings hatte dieser Befehl eine andere Ursache, als Michel vermutete.
Er hörte Männer im Laufschritt durch die Straßen jagen, hörte, wie die Korporale schreiend Befehle an ihre Gruppen gaben, und stellte fest, daß die Ursache dieser Aufregung nicht allein seine Flucht aus dem Zimmer des Gouverneurs sein konnte. Und doch war es letzten Endes so. Don Hernando hatte seine Wachen angewiesen, ihm zu folgen und den Flüchtling, der sich in seinem Zimmer befinde, festzunehmen. Einem der Offiziere gab er Weisung, bei dem geringsten Vorfall, der etwa unvorhergesehenerweise eintreten sollte, dem Hornisten Befehl zum Blasen zu geben, damit man die Streitmacht vereint gegen den Pfeifer vorschicken konnte, der sich unter Umständen wie ein Löwe verteidigen würde. Wie eine solche Verteidigung aussehen konnte, davon hatte man heute Morgen ja einen eindrucksvollen Vorgeschmack bekommen. Der Gouverneur ging seinen zehn Gardisten voran. Er hatte verabredet, daß sie auf einen Pfiff von ihm sofort in das Zimmer stürmen sollten, um den Entflohenen festzunehmen oder rücksichtslos von der Muskete Gebrauch zu machen, wenn er sich wehren sollte. Der Offizier sollte in einigem Abstand warten, um sogleich den Befehl zum Blasen zu geben, wenn etwas nicht klappen sollte. Aber es kam alles ganz anders.
Don Hernando öffnete die Tür und hatte sein schönstes Lächeln aufgesetzt, um den Silbador sicher zu machen.
Plötzlich aber stieß er einen furchtbaren Schrei aus und stürzte, von einem Schwall eisigen Wassers überflutet, zu Füßen des nächtsfolgenden Gardisten zusammen.
Der Leutnant hörte den entsetzten Schrei und sah, daß an der Tür ein Tumult entstand. Nach seiner Meinung war das Unvorhergesehene jetzt eingetreten. Er eilte an das Ausgangsportal, wo der Hornist seiner wartete, und gab Befehl, zum Sammeln zu blasen.
Hell schmetterten die Klänge des Signalhorns durch die Nacht.
Die Garnisonstruppen, alle Streifen, alle Posten, jeder einzelne setzte sich in Richtung Gouverneurspalast in Bewegung. Der Gouverneur lag noch immer halb bewußtlos auf dem Boden. Seine Gardisten waren für den Augenblick ratlos.
Der Scherz, den Michel mit dem eiskalten Guß im Sinn gehabt hatte, hatte eine so starke Wirkung, daß ihm dadurch sogar der Weg zu Hamids Haus freigegeben wurde.
Als die Wachen sich verzogen hatten, stürmte er, alle Vorsicht außeracht lassend,
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