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Kerker und Ketten

Kerker und Ketten

Titel: Kerker und Ketten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
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wieder!«
    »Hoffentlich«, stimmte der Sekretär zu. »Übrigens -was ich vergessen habe, Euch zu erzählen, ist, daß der Kerl ein Gewehr besitzen soll, mit dem man immerfort schießen kann, ohne laden zu müssen.«
    Der Gouverneur warf ihm einen mitleidigen Blick zu, als zweifle er an seinem Verstand. »Ihr glaubt das doch hoffentlich nicht?«
    »Die Verwundeten behaupten es. Und es scheint mir durchaus möglich, daß es den Tatsachen entspricht. Er hat sechs Mann, die ihm gegenüberstanden, innerhalb von wenigen Sekunden die Beine entzwei geschossen.«
    »Mit einem Gewehr und allein? Unsinn. Was sagen die Offiziere dazu?«
    »Sie haben den Sergeanten vernommen und sind von der Wahrheit dieser Behauptung überzeugt.«
    »Gibt es denn selbst unter meinen Offizieren einen Gespensterglauben?« »Gespensterglauben? Das will ich nicht sagen.« »Nun, was denn?«
    »Nach Meinung des Sergeanten, der ja auch der Waffenmeister der Garnison ist, handelt es sich um eine neue Waffe. Er hatte die Muskete bei der Verhaftung des Kerls an sich genommen, ohne sich weiterhin Gedanken darüber zu machen. Die Konstruktion war so eigenartig, daß er sie für völlig veraltet hielt. Er wollte sie bei seinem nächsten Urlaub mit nach Spanien nehmen, um sie dort einem Raritätenhändler zu verkaufen.«
    »Por Dios, ist der Kerl verrückt geworden? Weiß er nicht, daß alle beschlagnahmten Dinge in den Zuständigkeitsbereich des Gouverneurs gehören? Weshalb hat er mir das Gewehr nicht gezeigt?«
    »Niemand ahnte etwas von der besonderen Bewandtnis dieser Waffe. Sie hing über dem Bett des Sergeanten als Wandschmuck und verstaubte. Keiner kümmerte sich um das Ding.« Don Hernando ging wie ein gefangener Löwe im Zimmer auf und ab. »Sagt dem Sergeanten, er soll den Mann mitsamt dem Gewehr wieder herbeischaffen, sonst schicke ich ihn auf die Festung. Stellt Euch vor, was es für eine Sache wäre, Seiner Majestät diese Waffe zu überbringen! Wenn in Toledo auf Hochtouren gearbeitet wird, dann kann dieses Gewehr sicherlich schnell nachgebaut werden. Damit wäre Spanien der Beherrscher der Erde. Könnt Ihr Euch die Schlagkraft einer Armee vorstellen, in der jeder Soldat mit dieser Muskete ausgerüstet wäre?«
    Er redete sich in Feuer. Seine Begeisterung gipfelte in dem strengen Befehl, den Entflohenen um jeden Preis wieder herbeizuschaffen. »Hoffentlich gelingt es, Don Hernando!«
    »Dem spanischen Soldaten ist nichts unmöglich. Der Kerl muß her!«
    Der Sekretär verließ das Zimmer. Und der Gouverneur legte sich wieder hin. Schweißtropfen perlten auf seiner Stirn. Wenn nun tatsächlich eine Inspektion kam? Wenn die Gefangenen vernommen würden? Wenn man erfuhr, daß ein gewisser Kapitän zu gewissen Zeiten immer ein oder zwei Dutzend Gefangene mitnahm? Don Hernando stöhnte.

36
    Der Gouverneur stand gesättigt vom Tisch auf. Da er Junggeselle war und keine Rücksicht auf die zarten Ohren einer Dame zu nehmen hatte, rülpste er ein paarmal laut und zufrieden. Dann zog er sich in sein Privatgemach zurück. Hier hielt er sich am liebsten auf. Neben seinem Lager stand ein silberner Kübel, der bis an den Rand mit Eis gefüllt war, ein unerhörter Luxus für die damalige Zeit. Ein Stück Eis von der Größe einer Männerfaust kostete damals soviel wie die Menge Brot, die ein Mann in einer Woche verbrauchte. Nicht weit davon befand sich ein bis zum Rand mit rotem Wein gefüllter Krug.
    Mit einem Becher schöpfte Don Hernando das köstliche Naß aus dem Krug und gab aus dem Kübel jeweils ein Stückchen Eis dazu. Mit sichtlichem Behagen schlürfte er dann den kühlen Trank.
    Auf diese Weise ließ sich das Leben sogar in Oran ertragen.
    Als er den Krug bis zur Hälfte geleert hatte, hing bereits ein leichter Schleier vor seinen Augen. Mitternacht war vorüber, und der Sekretär hatte ihm immer noch keinen Erfolg gemeldet. Um seine Gedanken abzulenken, trank er heute schneller als gewöhnlich. Und so war es erklärlich, daß er bald darauf mit einem Seufzer in die Kissen zurückfiel. Er merkte nicht, wie sich das Fenster vorsichtig öffnete und eine Gestalt über den Sims ins Zimmer stieg. Erst, als er sich am Hemdkragen gepackt fühlte, wurde er auf den Umstand der Anwesenheit eines zweiten Menschen in seinem Lieblingsraum aufmerksam. »Que hay?« fragte er mit lallender Stimme.
    »Kann man sich mit Euch jetzt noch vernünftig unterhalten, Senor?« fragte eine Stimme.
    »Habt Ihr ihn endlich?«
    »Wen?«
    »Wen — wen — wen kann ich schon

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