Kerker und Ketten
zuerst in den Stall.
Er sah dort in der Dunkelheit sein Pferd stehen. So geräuschlos wie möglich band er den Halfter vom Eisen-ring an der Krippe los. Er wollte gerade das Tier aus der Box ziehen, als ihn ein Laut, der von der Stalltür herkam, innehalten ließ.
Eine Gestalt kam dort herein, in der er, vom Mondlicht überflutet, Halef, den ungetreuen Diener, erkannte.
Zu seinem Erstaunen bewegte sich Halef jetzt ebenso vorsichtig, wie er selbst es vorher getan hatte. Was mochte der Bursche im Schilde führen?
Er sollte nicht lange darüber im unklaren bleiben. Ein Licht flammte auf. Halef erstieg vorsichtig die Leiter, die zum Heuboden führte.
Michel ließ sein Pferd stehen und folgte ihm in dem Augenblick, als der andere oben verschwunden war.
Mit äußerster Sorgfalt erklomm Michel Stufe um Stufe der Stiege, bis er den Kopf durch die Luke des Heubodens stecken konnte.
Halef kauerte in einer Ecke, schob dort das Heu zur Seite und brachte gleich darauf einen Beutel zum Vorschein. Dem Pfeifer war in diesem Augenblick alles klar. Halef hatte das erbeutete Geld tatsächlich für sich behalten.
Rasch zog sich Michel hoch und verbarg sich hinter einem in der Nähe stehenden Schober. Als Halef den Ausgang erreichte, bannte ihn ein kurzer, aber markerschütternder Pfiff auf der Stelle. Und dann war Michel über ihm. Eine wilde Rauferei begann, bei der beide versuchten, so wenig wie möglich Geräusch zu machen.
Michel spürte nach kurzem Kampf den Beutel zwischen den Fingern. Und obwohl er halb verhungert war, schaffte er es mit letzter Kraft, den anderen durch einen wohlgezielten Hieb gegen die Stirn ins Land der Träume zu befördern. Mit seiner eigenen Burnusschärpe band er den Überwältigten und verließ schnellstens den Heuboden. Unten zog er sein Pferd aus dem Stall, führte es über den Hof und band es dort so an eine Pferdestange, daß ihn das Lösen des Knotens zu gegebener Zeit höchstens eine Sekunde Zeit kosten würde.
In eine Ecke gedrückt, zählte er den Inhalt des Beutels, der ihm vorher bereits ein wenig leicht erschienen war. Zu seiner Enttäuschung waren nicht mehr als fünfzehnhundert Piaster darin. Er überlegte nicht lange. In diesem Gaunernest gab es sowieso keine Gerechtigkeit. Weshalb sollte der schurkische Herr nicht für den schurkischen Diener büßen, noch dazu, wo er, Michel, es dem Herrn zu verdanken hatte, daß er fast vier Wochen in dem entsetzlichen Gefängnis zugebracht hatte?
Kurz entschlossen stürmte er durch die gerade offenstehende Tür in das Innere des Hauses und eilte zum Schlafzimmer Hamids.
Hamid lag friedlich auf seinem Diwan und schlief einen tiefen und erquickenden Schlaf. Umso ungehaltener zeigte er sich, als er jetzt jäh aus Morpheus Armen gerissen wurde. »Welcher stinkende Schakal wagt es, meine Nachtruhe zu stören?« erscholl es wütend aus seinem Munde.
Michel, den die Zeit drängte, ließ sich nicht auf lange Reden ein. Als Hamid ihn erkannte, bekam er einen gewaltigen Schreck, der ihm gleich die Sprache verschlug.
Mit harter Stimme sagte Michel:
»Steh auf! Schnell! Beeil dich!«
Hamid gehorchte zögernd.
»Und jetzt führe mich dorthin, wo du dein Geld aufbewahrst. Sei dessen sicher, daß ich dich sofort erwürge, wenn du wieder einen Trick versuchen solltest.«Um seinen Worten den rechten Nachdruck zu verleihen, warf er ihm einen Riemen um den Hals und zog die Schlinge soweit zu, daß Hamid gerade noch mühsam Atem holen konnte.
Zuerst wollte er nicht. Wieder versuchte er zu reden; aber es wurde nur ein Lallen daraus. »Los«, fuhr ihn Michel grob an. »Ich habe keine Zeit zu verlieren. Wenn dir dein Leben lieber ist als die fünftausend Piaster, dann mach es kurz. Führe mich an deinen Geldschrank oder wo du sonst die Gewinne aus deinen schmutzigen Geschäften aufzubewahren pflegst.« Er verstärkte den Druck der Schlinge. Da ließ mit einemmal der Widerstand des Kaufmanns nach. Er ging zu der Truhe, bückte sich und öffnete sie. Aber plötzlich drehte er sich um und versetzte dem Pfeifer einen Schlag gegen die Schienbeine, der diesen zu Fall brachte. Damit hätte sich Hamid beinahe sein eigenes Grab gegraben; denn der Pfeifer zog im Fallen so heftig an der Schnur, daß er Hamid fast erdrosselt hätte. Hamid stürzte, wie vom Blitz getroffen, zu Boden. Michel beschäftigte sich gleich mit dem Inhalt der Truhe. Auf ihrem Boden fand er viele Säckchen. Er nahm sich aber nicht die Zeit, die Goldstücke erst abzuzählen, ergriff einen Beutel,
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