Kerrion 3 - Traumwelt
betrachtete seine Hose. »Wir beide hätten in dieser Hose wie in einem großen Schlafsack wohnen können, jeder in einem Hosenbein.« Sieger schob sich beim Gehen wie ein Automat voran, der Schritt des linken Beines wurde von dem Schwung der linken Schul--ter, der des rechten Beines mit dem Schwung der rechten Schulter vorangetrieben, so sah das aus. Das weiße Hemd, ein Zelt, klebte an seinem Rücken und ließ den Abdruck des Unterhemdes sehen. Er nahm nicht zur Kenntnis, was da alles neu angeschafft und renoviert worden war. Ihn bewegte nur, was er schon kannte. Die Kammer neben der Küche gehörte zu den Vorteilen der Wohnung. Sie war geräumig mit umlaufenden weißen Regalen, die jetzt frisch gestrichen waren. Solche Nebengelasse gibt es in neuen Wohnungen nicht mehr, sie machen solch eine Etage aber erst bewohnbar. Vieles kann in einer solchen Kammer verschwinden. Viel war daraus verschwunden.
»Meine Frau hatte und hat wohl immer noch eine Leidenschaft für Schuhe«, sagte Herr Sieger. Es sei kaum ein Tag ohne den Kauf neuer Schuhe vergangen. Überwiegend seien die Schuhe nicht teuer gewesen. Das klang geradezu beschwörend, er wollte keinen Vorwurf anklingen lassen, er gönnte ihr diese Sammelwut. Sie habe schmale und sehr schöne, aber vergleichsweise lange Füße, das Wort groß vermeide er bewußt, es vermittle einen falschen Eindruck. Für diese Füße sei es nicht leicht gewesen, Schuhe zu finden. Das Sammeln habe mit der Gewohnheit begonnen, jedes Paar Schuhe, das ihr paßte, zu kaufen. Denn sie habe stets befürchten müssen, nicht so schnell wieder passende Schuhe zu finden. So rar seien Schuhe dieser Größe dann aber auch wieder nicht gewesen. Viele habe sie nur wegen der Größe gekauft und dann gar nicht getragen, weil sie ihr nicht gefielen. Waren die Schuhe im Haus, verfuhr sie rücksichtslos mit ihnen und warf sie einfach in diese Kammer. Schließlich habe sie nur mit Mühe noch zwei passende Schuhe zusammenstellen können, vom Betreten der Kammer war schon gar keine Rede mehr. Und da habe er sich einen Tag lang darangemacht, die Kammer aufzuräumen und die Schuhe zu sortieren.
»Ich habe hier auf den Knien gelegen«, sagte er und wagte Ina nicht anzusehen, so stark ergriff ihn die Erinnerung. Es war auch damals heiß, und die Luft war vom Geruch des Leders, des getragenen Leders erfüllt. »Ich weiß«, sagte Herr Sieger, »für Fremde hat die Vorstellung solchen warmen Ledergeruchs von getragenen Schuhen etwas Abstoßendes, und auch für mich war er teilweise abstoßend, aber auch anziehend. Es war ein sehr starkes und tiefes Erlebnis. Zum Schluß standen dreihundert Paar Schuhe hier aufgereiht wie die Soldaten -und doch muß damals etwas zerbrochen sein - bei ihr, als ich ihr die Kammer vorführte. Wir hatten uns gestritten, sie war ausgegangen, kehrte zurück, und ich zeigte ihr die Schuhkammer. Das war wohl ein Fehler.«
Dann entdeckte er auf dem Fensterbrett ein Glas voll von kleinen Geldstücken aus allen möglichen Ländern, wie man sie auf Reisen in den Hosentaschen sammelt und dann zu Hause irgendwo aufhebt in der Hoffnung, sie noch einmal brauchen zu können.
»Das ist immer noch da, keiner hat das bisher weggeworfen, wie seltsam«, sagte Sieger. »Sehen Sie? Penny, Franc, Lira -bei jeder Münze könnte ich Ihnen die dazugehörende Reise sagen. Welche Achtung die Leute doch vor kleinen Beträgen haben. Möbel hat man hier weggetragen, auch Bücher, aber diese Münzen stehen immer noch da und sind inzwischen überhaupt nichts mehr wert.«
»Wir haben schon welche dazugetan«, sagte Ina und zeigte ihm einen amerikanischen Cent. Herr Sieger begrüßte das. Aber dann wurde er verlegen und bat, eine ungewöhnliche Frage stellen zu dürfen.
»Haben Sie zufällig schon die Miete für diesen Monat bezahlt?«
Ina sagte: »Ja, natürlich, ich selbst habe die Überweisung geschrieben.«
»An wen, wenn ich fragen darf?«
»Wie es vereinbart ist: an Herrn Souad.«
Herr Sieger versank in Nachdenken und murmelte vor sich hin. Natürlich, so sei es schließlich vereinbart, es sei dann wohl in Ordnung so. Sei das Geld etwa nicht angekommen? Sicher sei das nie, sagte Herr Sieger, aber normalerweise komme es schon an, Herr Souad habe sich doch nicht beschwert.
»Sprechen Sie mit Herrn Souad«, das hatte Ina als Aufforderung gemeint, aber unversehens klang es unbestimmt, beinahe wie eine Frage. Nein, mit Souad werde er nicht sprechen, sagte Sieger bestimmt, keinesfalls. Und das, obwohl er
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