Kerrion 3 - Traumwelt
hineinsteigerte, so suchte sie doch die Schuld bei sich. Hans warf sie nichts vor, er war wie zuvor, war verliebt und lächelte, wenn er sie sah, und war außerdem unerhört fleißig und geschickt, was die Bank anging. Nur daß sie inzwischen mit Bangigkeit zu bemerken meinte, daß die Veränderung, dies Unnennbare, das alles überschattete und matt machte, auch an ihm nicht vorüberging.
Eine Weile wiegte sie sich in der Hoffnung, daß Hans gar nichts wahrnahm von diesem über ihr hängenden großen Flügel, unter dem es dunkler war. Es tröstete sie und beruhigte sie, daß diese trübe Einfärbung offenbar kein objektives Ereignis war, sondern nur von ihr wahrgenommen werden konnte. Dann glaubte sie, sie selbst müsse nur einfach von ihrem Eindruck wegsehen, ihn unbeachtet lassen und so tun, als sei alles beim alten. Unversehens kam sie sich in ihrer Schauspielerei aber würdelos vor. Warum sollte sie Freude zeigen, wenn ihr danach nicht zumute war?
»Was hast du?« fragte Hans eines Nachts, als der Mond auf ihre Bettdecke schien, weil sie das Rouleau noch nicht heruntergezogen hatten. Ihre Antwort ist schon tausend Mal auf eine solche Frage gegeben worden: »Nichts«, aber sie fügte, nach einer Weile des Schweigens wenigstens hinzu: »Es hat nichts mit dir zu tun.« Da war es Hans nicht zu verdenken, wenn er die Ohren spitzte.
*
Eine erste größere Auseinandersetzung - Krach will man sie nicht nennen, aber ungewöhnlich war sie doch für die beiden - gab es, als die Leute im dritten Stock, »le ménage Wittekind«, wie Frau von Klein gesagt hätte, zum Abendessen ba-ten. Hans freute sich über diese Geste von Herzen. Er hatte Ina schwungvoll und begeistert von seinem Besuch erzählt und nachgedacht, wie man die Verbindung vertiefen könne. Ob es passend sei, dieses Paar einzuladen? Da rief Britta schon an und schlug »ein einfaches kleines nachbarliches Essen« vor. Aber Ina freute sich nicht. Was sie gehört hatte, machte sie nicht neugierig. Sie war schüchtern, und sie hatte sich kaum außerhalb ihrer eigenen gesellschaftlichen Kreise bewegt. Ein Mann mit so vielen Büchern würde sie ganz gewiß langweilig finden. Was sagte man zu einem solchen Mann? fragte sie ratlos, als enge die Lektüre vieler Bücher den Gesprächshorizont des Lesers derart ein, daß er nicht mehr in der Lage sei, eine Tischkonversation zu bestreiten. Die Vorstellung, eine Schauspielerin zu sehen, war ihr gleichfalls nicht angenehm, auch wenn sie hübsch sei.
Obwohl Hans nachdrücklich von dieser Hübschheit sprach, zeigte sich bei Ina aber nicht der kleinste Zipfel Eifersucht. Sie war selbst hübsch und fand es selbstverständlich, daß die Leute, mit denen man verkehrte, hübsch waren, und sie ging großzügig mit diesem Prädikat um, das unterschied sie von vielen Frauen, die einen übelwollenden, zänkisch-kritischen Blick auf das eigene Geschlecht werfen. Ina wollte geradezu, daß Frauen hübsch waren und auch Hans gefielen. Es war, als ahne sie sehr deutlich - eigentlich über ihre Erfahrung hinaus, aus einer grundsätzlichen Disposition heraus daß Hübschheit und erotische Anziehung zwei Dinge waren, die miteinander nichts zu tun haben mußten. Auch sie fand, daß Schauspielerinnen zu den »interessanten Leuten« gehörten, wie das hieß, daß es erstrebenswert sei, mit einer » hübschen Schauspielerin« einen Abend zu verbringen, so ent schieden sie für sich selbst alle Schauspielerei ablehnte, aber sie fühlte sich außerstande in dieser ihr noch rätselhaften, undeutlichen Verfassung »interessante Leute« zu besuchen. Das mußte einen Mißerfolg geben.
Davon sagte sie Hans nichts, sondern schlug vor, er möge alleine gehen - »wenn es denn überhaupt klug sei, mit Leuten aus dem Haus so schnell Freundschaft zu schließen«. Das könne sich doch zu einer großen Belastung entwickeln. Es sei ihr unheimlich, die Leute dann womöglich jeden Tag irgend--wie mit Freundlichkeit bedenken zu müssen, immerfort unter dem Druck zu stehen, sich gegenseitig einzuladen, und schließlich Angst zu haben, die Wohnung zu verlassen, weil man Schritte im Treppenhaus gehört habe. Als Hans das alles nicht gelten lassen und vor allem keinesfalls allein dort erscheinen wollte - »wie das denn aussehe, ein zweites Mal« versuchte sie, sich hinter ihrer Mutter zu verschanzen. Heute sei der Telephontag von Frau von Klein, denn heute gehe sie nicht aus und sitze allein zu Hause, ein bemitleidenswertes Bild.
Es war eigentlich erst der Appell
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