Kerrion 3 - Traumwelt
an die Bedürfnisse von Frau von Klein, der die Schärfe ins Gespräch brachte. Plötzlich wollte Hans von den Wünschen und überhaupt dem Befinden seiner Schwiegermutter nichts mehr wissen. Es sei ihm gleichgültig, was Frau von Klein an einem solchen einladungsfreien Abend unternehme. Wie sie die tote Zeit, ohne von anderen Leuten unterhalten zu werden, bis zum Schlafengehen herumbringe, interessiere ihn nicht. Es lasse ihn die Vorstellung kalt, daß Frau von Klein heute abend vor Langeweile Juckreiz bekomme. Frau von Klein habe sich niemals für das Befinden anderer Leute interessiert - und könne in diesem Desinteresse durchaus für vorbildlich gelten -, vor allem aber sei ihr ihre Tochter stets perfekt gleichgültig geblieben: Sie habe ihr ja nicht einmal einen richtigen Namen gegeben. Ina - das sei kein Name, sondern die Abkürzung eines Namens, aber ob Georgina, Albertina oder Martina gemeint war, wisse Frau von Klein nicht, die nur einen einzigen Zweck mit dieser Ina verfolgt hatte: Das Monogramm ihrer Silbersachen - sie hieß Irma - sollte auch für die Tochter passen, damit später nichts graviert werden mußte. Tatsächlich war im Familienkreis von der praktischen Gleichheit des Monogramms von Mutter und Tochter gelegentlich die Rede, aber im Sinn des Lobpreises für soviel vorausschauendes Wirken. Es wirkte geradezu heimtückisch auf Ina, daß Hans dieses Familienthema jetzt zu seiner Schmähung der Schwiegermutter hervorholte.
Sie war verletzt, weil ein solcher Angriff bei dem geduldigen, aber auch diplomatischen Hans bisher nicht vorgekom--men war. Sie hatte sich mit ihm einig geglaubt, daß ihre Mutter zu ertragen sei und daß er die Notwendigkeit, sich deren Launen zu beugen, genauso erkannte wie sie selbst. Hier tat sich ein Riß auf, den sie als bedrohlich empfand. Niemals würde sie zulassen, daß Hans einen Machtkampf um Frau von Klein erzwang. In der Stimmung, in die sie geraten war, hatte niemand das Recht, zum Wanken zu bringen, was ihrem Leben Sicherheit gab.
Als Hans und Ina gebadet und erfrischt in leichten sommerlichen Kleidern, rundum appetitlich und erfreulich aussehend, das bereits erwähnte »schöne Paar« eben, bei Lilien und Wittekind klingelten, war dies überzeugend schöne Aussehen, das die Gastgeber sichtlich wahrnahmen, nur die Fassade, hinter der sich eine ernste Verstimmung verbarg. Man hatte keine Zeit gehabt, sich zu versöhnen, war dazu auch nicht geneigt und hatte in frischem Zank die Wohnung verlassen.
Die obere Wohnung war weit, hell und etwas nackt, hier unten war alles höhlenhaft und wirkte dadurch auch ein wenig kleiner. In der Sommerhitze war allein der Anblick der beiden erfrischten Frauen schon ein Labsal, es war, als gehe Kühle von ihren Körpern aus. Sie mochten gleich alt sein, aber Ina erschien als die Jüngere, das Bühnendasein gab Britta die Möglichkeit, ein souveränes Auftreten auch dann zu markieren, wenn ihr danach eigentlich nicht zumute war. Zwischen den Bücherstapeln war ein kleiner Tisch aufgeschlagen, ein richtiges Tischlein-deck-dich war herbeigeflogen, mit Kerzenleuchtern und einem Eiskübel und daraus ragenden Weinflaschen. Der lässig in seine freundliche Ironie wie in eine bequeme Hausjacke gehüllte Hausherr wirkte, als habe er kaum vom Schreibtisch aufgesehen, während all dies herbeigeflogen war.
Britta kam nämlich aus dem Theater und hatte zu Vorbereitungen keine Zeit gehabt, aber wer immer da tätig geworden war, er hatte seine Arbeit geschickt gemacht.
Es gab nur kalte Sachen. Gekühlte Tomatensuppe mit Basilikumblättern, kalten Braten und Bohnensalat, schließlich Zitroneneis, das mußte Ina dann doch gefallen. Sie entspannte sich auch, wie Hans aus den Augenwinkeln festzustellen meinte, wenn sie seinem Blick auch weiterhin auswich. Wittekind behandelte Ina mit zeremonieller Höflichkeit, aber Hans zweifelte, ob seine großen, etwas hervortretenden Augen sie überhaupt wahrnahmen. Mit Lebhaftigkeit sprach er, wenn er sich an Hans wandte. Durch Ina schien er, mit mondhaft gütiger Miene, hin durchzusehen.
Man sprach davon, wie schön es wäre, an einem solch heißen Abend vor diesem Treffen noch im Main schwimmen zu gehen, der schließlich beinahe an der Haustür vorüberfloß. Vor dem Krieg sei das üblich gewesen, sagte Wittekind, obwohl der Fluß damals schmutziger gewesen sei als heute. Man habe in dieser Zeit einen Fluß ja noch ganz unschuldig als große Abflußrinne angesehen. Die Strömung sei heute natürlich
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