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Kerrion 3 - Traumwelt

Kerrion 3 - Traumwelt

Titel: Kerrion 3 - Traumwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Urban Sieger sei schätzenswert. Sie habe ihn geradezu gern und wolle ihn nach Möglichkeit nicht verletzen. Er sei offen zu ihr gewesen - hier verdunkelte sich ihr auf Hans gerichteter Blick, es gebe nicht viele Menschen, die so offen seien. Und er sei unglücklich, und sie vermute, daß er dieses Unglück nicht verdient habe. Wie es denn überhaupt mit dem Verdienen des Unglücks so eine Sache sei: Wer habe schließlich sein Unglück wirklich verdient? Wer mache sich schon klar, wie hoch die Rechnung sei, die uns für die kleinsten Unachtsamkeiten und Irrtümer ausgestellt werde? Längst Vergessenes müsse hart und unnachsichtig abgebüßt werden - so sei es doch. Ihre Augen hüllten sich wieder mit Tränen. Sie saßen ein wenig abseits, da mochten die Tränen denn rollen, ohne Aufsehen bei den Nachbarn zu erregen, die diese Trauer eines schönen jungen Mädchens gewiß der Herzlosigkeit ihres Begleiters angelastet hätten.
    *
    Als habe Sieger dies Bekenntnis der Sympathie und des Mitgefühls mitbekommen - nach volkstümlicher Vorstellung klingt es einem in den Ohren, wenn weit entfernt lobend über einen gesprochen wird, und Sieger war von echt elephantenhafter Empfindlichkeit, so daß sich dies Klingen bei ihm am Ende wirklich ereignete -, stand er am anderen Tag wieder vor Inas Tür. Sie sah schon an dem ungeheuren Schatten auf dem Milchglas, wer geklingelt hatte. Wie Siegers Kopf auf den breiten Speck- und Wasserschultern saß, hatte sich ihr eingeprägt.
    Er war vom Treppensteigen so erschöpft, daß er schweigend und tief atmend vor ihr stand und nur den Zeigefinger hob, als wolle er sagen: »Aufgepaßt! Ich beginne zu sprechen, sowie ich in der Lage dazu bin.«
    Er war wieder in weißem Hemd und schwarzer Hose, das schien seine einmal angenommene Tracht, im Winter kam dann wohl die schwarze Anzugsjacke hinzu. Als er eingetreten war und sich niedergelassen hatte, bat er um ein Glas Wasser. Aus einer kleinen Dose nahm er bunte Tabletten und warf sie sich in den geöffneten Mund. Er komme aus einem ihr wahrscheinlich absurd erscheinenden Grund, sagte er in der flehenden Höflichkeit, die ihm eigen war und mit der er Ina für sich eingenommen hatte. Er habe schließlich hier gelebt, zunächst mit seinen Eltern, dann nur mit der Mutter, dann ganz allein -und er bekenne, daß er diesen Tag herbeigesehnt habe - »Ich habe meine Eltern geliebt, und ich war ihr geliebter Sohn, und ich habe sie dennoch in Gedanken ermordet« - nicht anders dürfe man diesen Wunsch, hier einmal ganz allein zu leben, deuten - dies Alleinsein habe schließlich den Tod der Eltern vorausgesetzt - so werde man zum Gedankenmörder. Die bösen Wünsche gingen immer in Erfüllung - wisse sie das?
    Ina wußte es nicht, aber es traf sie tief, sie wurde sich das merken. Herr Sieger hatte keinen sichtbaren Hals. Das Fett war ihm bis zum Kinn gestiegen, und oben auf dem Schulterplateau rollte sein Köpfchen nun scheinbar lose hin und her. Er verband in seiner Erscheinung seltene Massen mit einer verblüffenden Zerbrechlichkeit. Ina kochte jetzt Tee. Es sei in der Hitze gut, etwas Warmes zu trinken, sagte sie und genoß es, diesem sie anrührenden Mann fürsorglich Belehrendes zu sagen, was sie allerdings nur nachschwatzte. Was bei Hitze gut sei, darüber hatte sie sich wie jeder gesunde junge Mensch noch nie den Kopf zerbrochen. Wenn Herr Sieger Inas schöne Tasse zum Mund hob, verschwand der Henkel vollständig, die Tasse sah aus wie ein Fingerhut.
    Die ersehnte Einsamkeit sei ihm gewährt worden, sagte Herr Sieger, aber dann habe er auch den Sog kennengelernt, den diese Leere entwickelte und von dem er sich keine Vorstellung gemacht habe. Und dieser Sog habe eine Frau hier herauf zu ihm getragen. Das sei ein geradezu physikalischer Vorgang gewesen. Sie war älter als er, eine Frau von großen Erfahrungen und scharfsinnig, aber sie mußte unbedingt ihren Willen haben, was ihn aber gar nicht gestört habe, ihm sei es so unwichtig, seinen Willen zu haben, daß er oft daran zweifle, ob er überhaupt einen besitze. Der Gegensatz zwischen ihnen sei stark gewesen. Hier der scharfe Wille, dort vollkommene Willensschlaffheit - so drückte er selbst das aus -, hier die Fähigkeit zu gnadenlosem Haß, dort die Unfähigkeit zum Haß aus der Gleichgültigkeit heraus. »Ich würde nie behaupten, ich sei ein guter Mensch«, sagte Herr Sieger, »was bei mir wie Güte aussieht, ist nur Schwäche. Bei guten Menschen kommt das Gute aus der Stärke.«

Womit aber

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