Kerstin Dirks & Sandra Henke - Vampirloge Condannato - 01
rannte, so schnell ich nur konnte, die Treppe hinauf. Das wilde Fauchen hinter mir trieb mich nur noch mehr an. Keuchend nahm ich mehrere Stufen gleichzeitig. Gleich hatte ich es geschafft! Nur noch wenige Schritte trennten mich vom Sonnenlicht. Mit letzter Kraft erreichte ich die Geheimtür, stolperte ins Bauernhaus und schleppte mich von dort ins Freie. Licht! Ich musste ins Licht! Nur dort war ich vor ihren Zähnen und Klauen geschützt. Warme Sonnenstrahlen empfingen mich, als ich durch die Tür schritt - ich war in Sicherheit! Hier draußen konnten mir die Vampire nichts antun. Erleichtert sackte ich auf die Knie und schnappte gierig nach Luft. Ich war völlig außer Atem. Meine Arme und Beine zitterten vor Anstrengung und Erschöpfung. Woher nur hatten die Vampire gewusst, dass wir sie überfallen würden? Als ich zu dem Haus zurückblickte, sah ich eine zierliche Gestalt am Fenster stehen. Die Bäuerin! Irgendwie musste es ihr gelungen sein, die „Loge“ zu warnen! Ignatius brillanter Plan hatte ihm und Dango das Leben gekostet. Erschüttert stieg ich auf mein Pferd und ritt in Richtung Westminster. Den
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Tod der beiden Männer hatte ich mir, weiß Gott, nicht gewünscht. Wenigstens konnte Samuel Elisa nun nichts mehr anhaben. Und auch Jeremy war in Sicherheit vor dem gnadenlosen Vampirjäger.
Vater merkte sofort, dass etwas nicht mit mir stimmte. Ich war noch immer vollkommen aufgelöst, als ich das Pub betrat. Was ich soeben erlebt hatte, war schlimmer als jeder Alptraum. Erst jetzt wurde mir bewusst, in welche Gefahr ich mich begeben hatte. Die Vampire schreckten nicht einmal vor Mord zurück. Wollte ich überhaupt so sein wie sie? Würde sich mein Wesen verändern, wenn ich mich durch Jeremys Biss in eine Untote verwandelte? Ich ging die Treppe hinauf und lief zu meinem Zimmer, um mir ein sauberes Gewand anzuziehen. Meine Chemise war durch die Aufregung der letzten Stunden schweißnass und verschmutzt. Der Flur lag ruhig vor mir. Die Zimmer von Ignatius und Dango waren noch immer genauso, wie sie sie verlassen hatten. Nur ich wusste, dass die beiden Männer nicht mehr zurückkehren würden.
Als ich in den Schankraum zurückkam, erwartete mich ein ungewöhnlicher Gast an der Bar.
„Du hast Besuch“, knurrte Vater erbost und deutete zu der deformierten Gestalt, die sich mit dem Oberkörper auf den Tresen gelegt hatte, als würde sie schlafen.
„Ich kümmere mich um ihn“, versprach ich Papa. Ich wusste, dass er mit Vampiren und auch deren Dienern nicht mehr als nötig zu tun haben wollte. Derartige Gesellen vertrieben die Kundschaft. Außerdem weckte jede dieser Kreaturen schmerzliche Erinnerungen in ihm.
„Gregory, welch Freude Euch zu sehen. Darf ich Euch etwas anbieten?“ „Ihr müsst England verlassen.“
„Was redet Ihr?“ Ich schenkte ihm einen Krug Bier ein und stellte es vor ihn auf den Tisch. Dann nahm ich das Geschirr aus der Waschschüssel und trocknete es mit einem Tuch ab.
„Keine Zeit für lange Erklärungen. Meister Jeremy schickt mich. Die Vampire wollen Euren Tod.“
„Was?“ Ich glaubte mich verhört zu haben! Wieso wollten die Vampire auch mich töten?
„Ihr habt die ‚Loge’ verraten.“
„Das stimmt nicht! Lasst mich erklären, ich wurde gezwungen! Ignatius erpresste mich.“
„ Das spielt keine Rolle mehr. Ihr habt Kalestra auf dem Gewissen. Sie starb durch Euren Verrat. Also hört mir zu, wenn Ihr überleben wollt. Nehmt die ‚Nightingale’. Sie liegt im Hafen von London und läuft heute Abend in die Neue Welt aus. Jeremy wird Euch dort erwarten und mit Euch gehen. Ihr
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habt keine Zeit zu verlieren. Wenn Ihr den Vampiren in die Hände fallt, seid Ihr des Todes.“
Gregory kippte das Bier seine Kehle herunter und wischte sich schnaufend mit dem Handrücken über den Mund. Dann stieg er umständlich vom Stuhl. „Danke“, grunzte er in seiner unnachahmlichen Art und hinkte zum Ausgang.
„Wartet! Das kann doch nicht Euer Ernst sein! Ihr könnt mich doch nicht einfach so stehen lassen! Was soll das? Ich kann England nicht verlassen“, rief ich ihm nach. Aber er tat, als hörte er mich nicht.
Fassungslos ließ ich das Geschirrtuch sinken und sah zu Vater, der gerade ein Fass Bier aus unserer Vorratskammer hereinrollte.
„Papa, kann ich dich kurz sprechen? Es ist wichtig.“ Wenn es stimmte, was Gregory sagte, dann schwebte nicht nur ich in
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