Kerstin Gier 2
Versehen«, sage ich mit tomatenrotem Kopf. Immerhin ist der Ball in etwa da gelandet, wo er hin sollte, und ich mache mich auf den Weg, als plötzlich Moritz lossprintet. »Ich hole ihn, Mama!«
»Nein, ich hole ihn.« Ich renne ebenfalls los. Im weichen Sand ist das Laufen nicht einfach, und Moritz ist verdammt schnell, aber ich werde nicht kurz vor dem Ziel aufgeben, überhole ihn keuchend und schnappe ihm den Ball vor der Nase weg.
»Mama, du bist gemei-hein!« Moritz lässt sich heulend in den Sand fallen.
»Ja«, sage ich abgelenkt, denn ich versuche, das Cover von dem Buch zu erkennen. Vergeblich. Die Schrift vom Titel ist zu dünn, und ich habe meine Brille nicht an. Vermutlich ist der Titel deswegen nicht fett gedruckt, weil er so peinlich ist. Ich lasse den Ball fallen, er rollt neben die perfekte Mutter, ich gehe hin und dann erkenne ich es. Christa Wolf. Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud. Ach du meine Güte. Ich verstehe noch nicht mal den Titel! So was könnte ich nicht in einer Million Jahren lesen! Die Traummutter dreht den Kopf. Schaut mich an. Vermute ich mal. Sie trägt eine Valentino-Brille in Diva-Größe. Ich hebe den Ball und rufe zu Moritz: »Ich habe ihn!«
»Wie sehen die Kinder denn aus?«, fragt Ralf entsetzt und legt die Zeitung weg, als wir vom Strand kommen. »Hättest du sie nicht wenigstens ein bisschen sauber machen können?«
»Hab ich ja«, gebe ich patzig zurück. »Der Rest wird abgeduscht.« Ich verfrachte Moritz und Nico in die Wanne, wo ich ihnen zwei Kilo Sand alleine aus den Poporitzen spüle.
»Meinst du nicht, das verstopft den Abfluss?«, gibt Ralf zu bedenken, der entspannt im Türrahmen lehnt.
»Mach es besser, wenn du es besser kannst«, gifte ich.
Am Nachmittag quetschen wir uns in den Mietwagen, der sich als klappriger VW Passat entpuppt. »Du warst den ganzen Vormittag unterwegs und das ist alles?«, entfährt es mir. Ralf seufzt. »Es gab nichts anderes, wo drei Kindersitze reinpassen.«
»Aber der hat noch nicht einmal eine Klimaanlage!«
»Mach es besser, wenn du es besser kannst.«
»Mach ich auch demnächst. Dann komme ich wenigstens einmal dazu, in Ruhe einen Kaffee zu trinken und shoppen zu gehen.« Trotz der eisigen Stimmung klebt mir das Kleid am Körper, die Haare pappen an der Kopfhaut, und auch die Kinder sind völlig verschwitzt, als wir endlich in der Nähe der Fußgängerzone einen Parkplatz in der prallen Sonne gefunden haben. »Diese Kirche an der Plaza soll sehr interessant sein«, sage ich, aber Ralf ruft: »Wer will ein Eis?«
»Ich, ich, ich«, schreien die Kinder.
»Also los! Wer zuerst an der Eisdiele ist, der hat gewonnen.«
Moritz und Ralf machen ein Wettrennen, ich trage Nico, der im Auto geschlafen hat, und Fiona übt sich in präpubertärer Verweigerungshaltung, die ihr verbietet, irgendetwas außer ihrem iPod und ihrem dämlichen Plüsch-Fiffi auch nur ansatzweise akzeptabel zu finden. Neben mir hält ein schwarzer Ford Galaxy, der einen Parkplatz unter einem schattigen Baum gefunden hat, die Tür geht auf und ein Schwall kühler Luft streift mich. Dem cremeweißen Inneren entsteigt die Familie Perfekt, lächelnd, entspannt und wie aus dem Ei gepellt. Vermutlich haben sie auf der Fahrt mehrstimmig Lieder gesungen. Was sind das nur für Leute? Fiona stürzt sich auf ein Schaufenster mit Hannah-Montana-Krimskrams und drückt sich die Nase platt. Ich warte geduldig etwa zehn Sekunden, dann beginne ich mit dem »Komm jetzt«-Mantra, das nahtlos übergeht in das »Ich geh jetzt«-Mantra. Familie Perfekt trabt an uns vorbei, der Junge hüpft vorneweg, das große Mädchen nimmt die Kleine an der Hand, der Vater legt einen Arm um die Mutter. Das ist nicht mehr normal. Und wenn die auch noch Sex haben, dann lasse ich mich scheiden. Irgendwie bin ich nicht überrascht, dass Familie Perfekt uns den letzten Tisch der Eisdiele wegschnappt, sodass wir gezwungen sind, unser Eis unter einer Markise im Stehen zu essen. »Warum schlingst du denn so?«, fragt mich Ralf.
»Weil du Waffeln genommen hast, anstatt Becher, und die Kinder sich gleich von oben bis unten mit geschmolzenem Eis vollschmieren, Nico halt das Hörnchen gerade.«
»Guck mal, Mama, ich esse wie der Tyranno!«, sagt Moritz und reißt den Mund weit auf.
»Mach das nicht«, sage ich automatisch.
»Ach was«, sagt Ralf. »So einen Fleck kann man doch leicht rauswaschen.« Bevor ich ihn fragen kann, wen er mit man meint, schnellt Moritz’ Kopf vor und schnappt
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