Kerstin Gier 2
Womöglich muss man hier gleich applaudieren und jubeln.
»Ich habe noch eine kleine Überraschung für euch. Wie ein paar von euch wissen, arbeiten der Vater von Timo und ich ja schon seit geraumer Zeit zusammen an einem Buch über das Nichtschenken. Vor einiger Zeit haben wir einen Verlag dafür gefunden, und gestern haben wir den Entwurf für das Cover geschickt bekommen. Wollt ihr es sehen?«
»Ja.«
»Na klar.«
»Zeig!«
»Gut, hier ist es.«
Finja hält einen Farblaserausdruck hoch. Die Leute klatschen und johlen. Ich klatsche und schlucke hektisch an den letzten Erdbeerkuchenbissen herum, um endlich auch mit dem Johlen anfangen zu können. Dabei sehe ich mir das Cover genauer an. Ein unglückliches Kind, das ein riesiges Geschenk auf dem Rücken herumträgt, und ihm gegenüber ein glückliches Kind ohne Geschenk, das fröhlich und fast ein wenig schadenfroh auf das Kind, das unter seinem Geschenk ächzt, herabschaut. Darüber steht unübersehbar in dicken schwarzen Buchstaben der Titel:
»Das Günther-Prinzip«.
Ich verschlucke mich am letzten Bissen. Statt zu johlen, huste ich wild herum. Bert schlägt mir mit der flachen Hand auf den Rücken, aber es hilft nichts. Ich will auch gar nicht johlen. Ich will viel lieber laut »Noooaaaaaiiiiiiiiiiin!« schreien. Finja lächelt mich an.
»Wer weiß, ohne dich hätte es dieses Buch vielleicht nie gegeben, Günther.«
Ich will etwas sagen, kann aber nur husten. Ist vielleicht auch gut so, denn eigentlich weiß ich gar nicht, was ich sagen will.
*
Lauras Geburtstag feiern wir immer bei uns zu Hause. Sie will das. Solange es nur einmal im Jahr ist, ist das auch gut durchzustehen. Wir versuchen jedes Mal, aus den Fehlern, die wir beim vergangenen Mal gemacht haben, zu lernen, aber das gelingt nie. Die Brut wird mit jedem Jahr größer und hat anderen Unsinn im Kopf. Dachte man sich in einem Jahr noch »Nie wieder keine Gesellschaftsspiele anbieten, weil sie dann nur rumtoben«, denkt man sich im nächsten Jahr »Nie wieder Gesellschaftsspiele anbieten, weil man danach alle Gesellschaftsspiele neu kaufen muss«. Aber immerhin, es gab bis jetzt noch keine Verletzten bei uns.
Noch sind wir in der Ankommphase. Es klingelt im Minutentakt an der Tür, die Leute kommen herein, halloen und glückwünschen. Laura sitzt mit ihren Freunden in einer Ecke des Wohnzimmers. Sie sind ganz in das Spongebob-Labyrinth-Spiel vertieft, das meine Schwiegereltern, diese Ewiggestrigen, unverbesserlichen, nicht lernfähigen Kretins die Stirn hatten, ihr zum Geburtstag zu schenken. Die wissen anscheinend gar nichts über die neuesten pädagogischen Trends und für was der Vorname ihres Schwiegersohns inzwischen steht. Ich überlege die ganze Zeit schon, ob ich ihnen postwendend ein signiertes Exemplar von »Das Günther-Prinzip« schicken soll, aber ich fürchte, da würde ich Ärger mit meiner Frau kriegen. Besprechen müssen wir dieses Malheur aber auf jeden Fall.
»Hallo Finja, hallo Timo!«
»Hallo Günther! Na, wo ist denn Laura?«
»Da müsst ihr ins Wohnzimmer schauen.«
Ich neige mich zu Finjas Ohr und flüstere.
»Sie hat etwas g-e-s-c-h-e-n-k-t bekommen. Von den Großeltern.«
Ich rolle dazu heftig mit den Augen, aber Finja kichert nur. Vielleicht sehe ich das inzwischen auch zu verkrampft? Aber sie hat ja selbst gesagt, wenn einer anfängt, dann bedeutet das wieder Druck für die anderen und so weiter. Eigentlich gibt es hier nichts zum Kichern.
Und wieder klingelt es. Wer fehlt denn jetzt überhaupt noch? Ah, Celine, die neue Mitschülerin, die gerade aus Toulouse hierhergezogen ist, und ihre Mutter Aurelie. Wie schön. Wir alle finden die beiden ganz reizend.
»Hallo Celine, hallo Aurelie!«
»Hallo Günther! Wo ist Laura?«
Oh … Oh nein! Hat denn niemand Aurelie aufgeklärt? Mist, vielleicht kann ich das schnell noch im Treppenhaus mit ihr besprechen, bevor …
»Hallo Aurelie, wie schön, dass ihr da seid! Kommt rein!«
Zu spät. Das hätte nicht sein müssen.
»Ich habe etwas für Laura mitgebracht. Laura! Hallo! Herzlichen Glückwunsch meine Liebe! Hier, für dich.«
Jeder hat es gesehen. Keiner sagt etwas. Aber, keine Frage, was hier gerade passiert, ist ein Skandal. Das hätte nicht sein müssen. Wir sollten künftig jedem, der hierherzieht, sofort das Buch überreichen.
Laura hat das Geschenkpapier schon aufgerissen. Ein Buch. »Das große Pferdelexikon für Kinder«. Sie strahlt.
»Oh! Toll! Danke!«
Laura setzt sich mit dem Buch in die
Weitere Kostenlose Bücher