Kerzilein, kann Weihnacht Suende sein
nicht an. Die zehn halbstündigen Folgen hatten am Ende eine Sehbeteiligung von knapp 40 Prozent in der Zielgruppe, fast das Vierfache des Senderdurchschnitts. Das war letztes Jahr gewesen. Natürlich wollte man dieses Jahr an den Megaerfolg anknüpfen, aber wie? Den Weihnachtsmann denselben Stiefel noch einmal durchziehen lassen, darüber war die Kreativrunde sich einig, ging ja wohl nicht.
»Wir nehmen eine Weihnachtsfrau, so was wie die Katzenberger und gucken was passiert!« »Geht’s noch? Eine Weihnachtsfrau?«
»Wieso denn nicht? Die Feminisierung der Gesellschaft macht vor keinem Bereich halt. Fast die ganze EU hat mittlerweile eine gesetzliche Frauenquote für die Führungsetagen der Konzerne eingeführt!«
»Aber das ist doch nicht vergleichbar! Wir bewegen uns hier im mythologischen Bereich, das wäre ja wie ein schwarzes Baby in der Krippe im Stall zu Bethlehem!«
»Ich lass das jetzt mal unkommentiert«, warf der Unterhaltungschef, dessen Vater Senegalese war, ein, »aber was wäre denn mit einer schwarzen Weihnachtsfrau?«
»Dann aber auch gleich im Rollstuhl«, rief der älteste Redakteur in der Runde, der sozusagen jenseits von Gut und Böse und offensichtlich unkündbar war, warum auch immer, und kriegte sich gar nicht mehr ein vor Lachen.
»Aber eine Weihnachtsfrau ist der richtige Ansatz, wir haben nur das Problem, dass nicht genug Väter mit Kindern kommen!«
»Dann müssen wir eben früher anfangen, vielleicht schon Mitte Oktober?«
»Also das sehe ich nicht: Das Freibad macht noch mal auf, weil der Herbst 20 °C bringt, und wir setzen eine Weihnachtsfrau ins Kaufhaus.«
»Gesetzt den Fall, wir machen das, wie soll die denn überhaupt aussehen?«
In diesem Moment platzte Ben Begatti in die Runde. »Hallo Leute, war gerade in der Stadt, um mir irgendeinen Preis abzuholen und dachte, ich schau mal vorbei. Was heckt ihr denn diesmal Schönes aus als Weihnachtsüberraschung für den alten Ben? Dieselbe Nummer können wir ja wohl nicht noch mal durchziehen!«
Alle sahen sich betreten an. Der Unkündbare sagte schließlich: »Wir hatten eine ziemlich gute Idee, Ben, auch wenn dir das vielleicht nicht schmeckt. Wir wollen eine Weihnachtsfrau als logische Weiterentwicklung der Serie.«
Bens unnatürlich geweitete Pupillen zogen sich kurz zusammen. »Ihr seid so geil, Leute, ihr habt’s echt drauf! Darauf hätte ich eigentlich selbst kommen können: der alte Ben als Fummeltrine! Schade nur, dass man wegen der Pixelung nicht sieht, wie den Jungs die Gesichter entgleisen, aber vielleicht gibt ja doch der eine oder andere die Erlaubnis zur Ausstrahlung. Geld soll da helfen, hört man, und bei den zu erwartenden Quoten …«
»Megakrass, Ben«, rief der Unterhaltungschef, »wir waren ehrlich gesagt gar nicht so sicher, wie du es aufnehmen würdest, aber dann kann ich ja die Rechtsabteilung schon mal anspitzen wegen der Verträge. Und wäre Mitte Oktober als Drehbeginn für dich o.k.?«
»Komme am 20. aus der Karibik zurück, wo ich mit Bohlen und Andrea Berg das Video für die nächste Single drehe, aber das reicht ja wohl.«
Der Rest ist schnell erzählt: Schon beim dritten Vater, der an die Hotelzimmertür klopfte, funkte es bei Ben. Die Trennung des Vaters von seiner Frau, Bens Coming-out, die Operationen, die aus Ben peu à peu eine Benita machten, hielten die Medien fast anderthalb Jahre in Atem. Für die Exklusivrechte und den Buchvertrag flossen Unsummen. Alle waren glücklich, auch die Frau des Kindsvaters.
»Ich bin heilfroh, dass ich das Weichei los bin«, verriet sie der SZ. Der Unkündbare ließ im kleinen Kreis verlauten: »Kinners, ich hab’s immer gewusst!«
Die Lautgruppe
I mmer nach Weihnachten tagte in unregelmäßigen Abständen ein Weihnachtsmänner-Stammtisch namens »Lautgruppe«. Den Namensvorschlag hatte Juri, ein russischer Kollege, bei der Gründungsversammlung wie folgt erläutert: »Wir wollen schließlich auch mal laut werden, schließlich müssen wir bei der ganzen Scheiße, die wir Heiligabend erleben, immer die Klappe halten. Wir sind praktisch der Gegenentwurf zur Stillgruppe.«
Das fanden alle witzig, bis auf Bassem, ein arabischer Kollege, der, nachdem er darüber aufgeklärt worden war, was »Stillgruppe« normalerweise bedeutet, meinte, das fände er geschmacklos, er sei zwar kein Moslem, der Frauen nur komplett verhüllt akzeptiere, aber man könne sich von seinen Wurzeln nicht vollständig befreien.
Er wurde von den anderen niedergebrüllt und war
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