Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kesrith – die sterbende Sonne

Kesrith – die sterbende Sonne

Titel: Kesrith – die sterbende Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Cherryh
Vom Netzwerk:
und eine Nacht damit zugebracht hast. Aber mische dich nicht mit deinem Rat in die Privatangelegenheiten eines Kel'en. Und betrachte ihn nicht als deinen Bruder. Eine Sen'e'en hat keine andere Verwandtschaft als das Haus als ganzes, und das Volk.«
    Melein stand auf und blickte auf Intel herab, und ihre Brust hob und senkte sich unter mühevollen Atemzügen. Sie war schön, diese ihre Tochter: Intel sah sie in diesem Augenblick und war erstaunt darüber, wie sehr Melein, die nicht von ihrem Blut war, zu dem geworden war, was ihre eigene Jugend einmal versprochen hatte – erblickte ihr eigenes Spiegelbild vor dem Fall von Nisren, vor dem Niedergang des Hauses und ihrer eigenen Hoffnungen. Der Anblick wunderte sie. In diesem Augenblick verstand und kannte sie die Sen'e'en, die Melein war, und fürchtete und liebte sie gleichzeitig.
    Melein, die ihren, Intels, Tod kaum bedauern würde.
    Sie hatte sie selbst dazu gemacht, absichtlich, Ereignis auf Ereignis, Entscheidung auf Entscheidung, ihre nicht leibliche Tochter, ihr Kind, ihre Erwählte, bei Kath und Kel und Sen gebildete, Teilnehmerin an den Mysterien aller Kasten des Volkes.
    Die sie haßte.
    »Lerne Zurückhaltung«, forderte sie von Melein mit ruhiger sanfter Stimme, die nur mühsam in Meleins Ärger vordrang »Lerne, eine Sen'e'en zu sein, Melein, mehr als alles andere, das du dir wünschst.«
    Die junge Sen'e'en stieß zitternd den Atem aus, und Tränen quollen aus ihren Augen. Da für den Augenblick ihre Pläne durchkreuzt waren, wurde sie wieder zum Kind; aber dieses Kind war gefährlich.
    Intel zitterte, wußte im voraus, daß Melein sie überleben und die Welt auf ihre eigene Weise prägen würde.

2
    Eine Trennungslinie durchzog die Welt, markiert durch einen Straßendamm aus weißem Fels. Auf der einen Seite und am unteren Ende lebten die Regul von Kesrith – Stadtleute mit langsamen Bewegungen und langem Gedächtnis. Die Tieflandstadt gehörte allein ihnen: flache, ausgedehnte Gebäude; einen Hafen; Handel mit den Sternen, Bergbau, der die Erde zernarbte; eine Anlage, die dem Alkalimeer Wasser entnahm. Das Land war die Dus-Ebene genannt worden, bevor es Regul auf Kesrith gab; die Mri erinnerten sich daran. Aus diesem Grund, aus Respekt vor den Dusei, hatten die Mri die Ebene gemieden. Die Regul hatten jedoch darauf bestanden, dort ihre Stadt zu errichten, und die Dusei waren dort weggegangen.
    Im Hochland, in den zerklüfteten Bergen am anderen Ende des Straßendammes, erhob sich der Turm der Mri. Er wirkte wie vier verkürzte Kegel, die an den Ecken eines trapezförmigen Grundrisses standen – die schrägen Wände waren aus der bleichen Erde des Tieflandes gefertigt, die man behandelt und gehärtet hatte. Dies war das Edun Kesrithun, das Haus von Kesrith, das Heim der Mri von Kesrith, und wegen Intel das Heim aller Mri im weiten Universum.
    Von dem Aussichtspunkt, den Niun in seinem einsamen Zorn eingenommen hatte, konnte man den größten Teil der Kesrithi-Zivilisation sehen. Er kam oft hierher zu diesem höchsten Teil des Straßendammes, zu diesem eigensinnigen Felsvorsprung, der die Regul-Straße abgewehrt und die Meinung der Regul über ihre Pläne geändert hatte, sie in die Berge und das Heiligtum von Sil'athen hinein auszubauen. Niun mochte ihn deswegen, wie auch wegen der Aussicht. Unter ihm lagen die Regul-Städte und das Mri-Edun, zwei sehr kleine Narben auf dem Körper der weißen Erde. Über ihm, in den Bergen und dahinter und noch weiter dahinter, gab es nur noch Regul Automaten, die der Erde Minerale entnahmen und Regul-Kesrith den Grund für seine Existenz lieferten; und wilde Dinge gab es dort, denen die Welt gehört hatte, bevor die Regul und die Mri gekommen waren; und die schwerfälligen Dusei, die einst Kesriths höchste Lebensform gewesen waren.
    Niun saß brütend auf dem Felsen, der die Welt überblickte, und haßte die Tsi'mri mit mehr als nur mit dem üblichen Haß der Mri auf Fremde, der schon beträchtlich war. Niun war sechsundzwanzig Jahre alt, nach der Jahresrechnung des Volkes, die sich nicht nach Kesriths Orbit um Arain richtete und auch nicht nach dem Standard von Nisren oder einer der beiden anderen Welten, die das Volk in der Zeitspanne, an die die Lieder des Kel erinnerten, als Heimatwelt bezeichnet hatte.
    Selbst nach den Maßstäben seines Volkes war Niun groß. Seine hohen Wangenknochen trugen die Seta'al , die Dreifach-Sterne seiner Kaste, blaugefärbt und unauslöschlich. Sie besagten, daß er ein

Weitere Kostenlose Bücher