Ketaria - Die Liebe des Verfluchten (German Edition)
nach dem Umschlag griff. Ein Teil von ihr wollte wissen was darin stand, aber ein anderer Teil hatte Angst, dass es etwas Furchtbares sein könnte. Im Inneren lag ein einzelnes Blatt, mit nur einem kurzen Satz. Bitte lies das Buch. Sie runzelte die Stirn, was sollte an genau diesem Buch denn so wichtig sein? Aber es war der Wunsch ihrer Tante gewesen, und sie schuldete es ihr wohl, nachdem sie schon vor ihrem Tod nicht für sie da gewesen war. Sie nahm das Buch und die Decke mit sich, als sie zurück in ihr Zimmer ging.
Cassandra hatte es sich in ihrem alten Bett gemütlich gemacht und nahm nun das Buch zur Hand. Es war eines der gebundenen, mit Zeilen versehenen Notizbüchern, die man in Schreibwarengeschäften zu kaufen bekam. Sie blätterte wahllos ein wenig durch das Buch, es war fast völlig vollgeschrieben, und zwar mit der Handschrift ihrer Tante. Sie kehrte zur ersten Seite zurück und begann zu lesen.
Meine liebe Nichte
Da die meisten Bücher in diesem Haus in alten, vergessenen Sprachen verfasst sind, die ich dich nicht mehr lehren konnte, habe ich zumindest versucht, hier das Wichtigste zusammenzufassen. Du bist jetzt die Hüterin des Schicksals, so wie ich es seit dem Tod meiner Mutter gewesen bin. Ich weiß das muss sich alles sehr verrückt anhören, aber bitte lies es zu Ende, es könnte dein Leben retten. Die Landschaftsbilder im ganzen Haus haben deine Vorfahrinnen und ich geschaffen. Es sind Tore zu Gefängnissen. Zu unserem Glück ist die Magie selten geworden und es hat seit vielen Jahrzehnten keine neuen Gefahren mehr gegeben. Ich musste niemals jemand einkerkern, obwohl ich aus Vorsicht einige Welten für diesen Fall vorbereitet hatte. Aber es ist auch unsere Aufgabe die bestehenden Welten zu hüten. In ihnen gibt es Wesen, die nicht mehr altern. Sie haben die Jahrhunderte überdauert und lauern auf die Chance unsere Welt wieder zu betreten. Du hast die Gabe ihre Gefängnisse durch die Bilder zu betreten, was du später auch tun solltest, um sie zu überwachen. Aber erst wenn du das Nötige gelernt hast. Aber manchmal, wenn es einen Notfall gibt, dann holen dich die Bilder von selbst zu sich. Also bitte, lass dir nicht zu viel Zeit dir mein Wissen anzueignen.
Cassandra klappte das Buch zu, sie stöhnte gequält auf. Der Geist ihrer Tante musste schon Wochen vor ihrem Tod völlig verwirrt gewesen sein, dabei hatten ihre Briefe so normal geklungen. Aber das hier war einfach nur Irrsinn, Bildergefängnisse in denen unsterbliche magische Wesen hausen sollten, die sie nun behüten sollte. Sie machte sich Vorwürfe, sie hätte wirklich öfter bei Elena vorbeischauen sollen, dann hätte sie ihr vielleicht helfen können. Ihre arme Tante musste ihre letzten Wochen und Monate in schrecklicher Angst verbracht haben. Sie blickte unschlüssig auf das Buch, sie sollte es wohl bis zum Ende lesen, denn es war das persönlichste Erbe ihrer Tante. Aber heute war sie einfach schon zu müde. Die lange Reise, der Fußmarsch mit dem Koffer und der ganze Irrsinn hier hatten sie völlig erschöpft. Sie würde sich morgen bei Tageslicht weiter damit beschäftigen. Dann würde sie es hoffentlich besser verkraften.
Cassandra blickte sich um, sie stand mitten in einem mittelalterlichen Dorf. Sie befand sich auf einem Platz, der Rand wurde von niederen Häusern mit kleinen Fenstern umrahmt, in der Mitte befand sich ein steinerner Brunnen, über die freie Fläche verteilt standen Marktstände, an denen sich die Menschen drängten. Die Szene kam ihr vage bekannt vor, aber sie hätte nicht sagen können woher. Die Leute wirkten, ebenso wie die Häuser, ärmlich. Ihre Kleidung war grob und voller Flicken und ihre Gesichter wirkten müde. Aber das Merkwürdigste an der ganze Szene war, niemand nahm sie zur Kenntnis. Dabei hätte sie mit ihrem Schlafanzug auffallen müssen wie ein bunter Hund. Suchend lies sie den Blick über alles wandern, bis es in ihrem Kopf Klick machte. Ihr fiel ein, woher sie die Szene kannte, es war eines der Bilder ihrer Tante. Aber auf dem Bild waren nie Menschen gewesen. Versuchsweise streifte sie einen der Passanten, der fuhr zwar erschreckt herum, sah aber förmlich durch sie hindurch. Es war, als ob sie ein Geist wäre.
„Wer bist du? Wo ist Elena?“, erklang plötzlich eine samtige Männerstimme hinter ihr. Sie fuhr erschrocken herum und sah sich einem Traum von einem Mann gegenüber. Seine Kleidung war zwar genauso ärmlich wie die der restlichen Leute, aber der Rest von ihm war
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