Ketchuprote Wolken
feuerte meinen Kuli auf den Boden.
Dad zupfte an meiner Bettdecke. »Ich dachte nur, du würdest vielleicht wissen wollen, dass du nicht allein bist mit deinen Gefühlen, Schatz. Das ist alles. Ich hätte vielleicht lieber nichts sagen sollen.« Dad stand langsam auf und strich mir über den Kopf. »Glaub mir, wenn ich dir deinen Kummer abnehmen könnte, würde ich’s tun«, murmelte er, und ganz ehrlich, ich hätte was drum gegeben, meinen Schmerz in seine Brust zu pressen. Und weil ich das grässlich fand, fing ich an zu weinen. Ich habe keine liebe Familie verdient und auch keine Freunde und nicht mal jemanden wie Sie, Mr Harris, und deshalb habe ich auch so lange nicht geschrieben.
Aber heute Abend dachte ich mir, dass Sie sich ohne meine Briefe vielleicht einsam fühlen in Ihrer Zelle. Ich möchte Sie nicht kränken, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass man im Todestrakt Freunde hat, weil das bestimmt kein besonders geselliger Ort ist, an dem man Witze reißt und sich durch die Gitterstäbe mit den anderen abklatscht. Vielleicht haben Sie sich inzwischen so sehr an mich gewöhnt wie ich mich an Sie. Vielleicht brauchen wir einander, und deshalb sollte ich mich vielleicht nicht schlecht fühlen, wenn ich Ihnen meine Geschichte erzähle, was ich auch unbedingt tun muss, sie frisst mich nämlich von innen heraus auf, und Sie sind der einzige Mensch auf der Welt, der sie verstehen kann. Ich kann keine Sekunde länger damit warten, und deshalb beginne ich jetzt mit dem Morgen nach Max’ Party, als ich mit dem ersten Kater meines Lebens im Bett lag und vermutlich vor mich hin jaulte.
TEIL DREI
Mum scherte sich natürlich einen Dreck darum, dass es mir so schlimm ging wie noch nie zuvor in meinem Leben. Sie riss die Vorhänge auf, und die Sonne drosch mir mit grellgelber Faust ins Gesicht.
»Aufstehen«, kommandierte Mum und riss mein Fenster auf. »Duschen. Frühstücken. Abstauben.«
»Abstauben?«, krächzte ich.
»Und dann staubsaugen. Und das Badezimmer putzt du auch noch.« Ich zog mir die Decke über den Kopf, doch Mum zerrte sie weg. »Dich betrinken, Zoe. Was hast du dir dabei gedacht?«
»Ich wollte mich nicht betrinken. Und ich hab auch gar nicht so viel getrunken.«
»In deinem Alter Alkohol zu trinken ist absolut inakzeptabel. Das ist ein wichtiges Jahr für dich, Zoe. Mittlerer Schulabschluss. Jede Menge Prüfungen. Du weißt, dass dein Vater und ich hohe Erwartungen an dich haben, Zoe. Hör auf, die Stirn zu runzeln«, sagte sie, weil ich das Gesicht verzogen hatte. Ich hasste diese Gespräche über die Schule. Aus tiefster Seele. »Du magst intelligent sein, aber wenn du wirklich Jura studieren willst, brauchst du erstklassige Noten.« Ich warf einen Blick auf Wischel der Wuschelklops auf meinem Schreibtisch. »Mit Schreiben kann man kein Geld verdienen«, sagte Mum streng. »Mit Jura schon. Wir haben bereits darüber gesprochen, und du warst meiner Meinung.«
»Ich weiß«, murmelte ich, obwohl das nicht stimmte. Wenn wir über Berufspläne sprachen, lief das immer gleich ab. Es war einfacher, Mum nicht zu widersprechen, weil ich das Gefühl hatte, ihr für ihre ganzen Bemühungen etwas schuldig zu sein.
»Na also. Du musst dir Mühe geben. Du darfst dich nicht gehen lassen.«
»Es waren nur ein paar Drinks, Mum. Ich tu’s nicht wieder.«
»Du wirst auch gar keine Gelegenheit dazu haben«, erwiderte sie, hob meine Jeans vom Boden auf und hängte sie in den Schrank. »Du hast für zwei Monate Hausarrest. Und ich nehme dir dein Handy weg.«
Eine Stunde lang bewegte ich mich überhaupt nicht. Es ging einfach nicht. Mir wurde schon übel, wenn ich nur den Kopf hob, um einen Schluck Wasser zu trinken. Dad hatte Dot gesagt, ich hätte eine Grippe. Deshalb kam Dot im Schlafanzug in mein Zimmer gerannt und brachte mir eine blaue Papp krone, auf die sie Gute Besserung geschrieben hatte. Oder ei gentlich Gute Beserung , weil sie ein S vergessen hatte. Sie trug selbst eine noch größere Krone aus rosa Pappe und strahlte, als ich meine aufsetzte.
»Jetzt können wir König und Königin von der ganzen Welt und dem Universum sein«, gebärdete sie.
Ich verbeugte mich vorsichtig und hob meine Decke hoch. »Kriechen Sie rein, Eure Majestät.« Dot schlüpfte unter die Decke, und wir kuschelten eine Ewigkeit.
Irgendwann schlurfte ich dann im Schlafanzug durchs Haus und erledigte meine Aufgaben. Als ich im Badezimmer sauber machte, dachte ich an die beiden Jungen, und mein Herz konnte sich nicht
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