Ketchuprote Wolken
einschlafen konnte. Am nächsten Morgen sprang ich aus dem Bett, bevor der Wecker klingelte. Sie wissen ja vielleicht, wie das ist, wenn man sich mit zitternden Händen anzieht, Mr Harris. In dem Artikel stand, dass Sie Alice zu einem Cheeseburger mit Spiralpommes eingeladen haben, als Sie zum ersten Mal mit ihr ausgingen, und vermutlich haben Sie auch so was Romantisches gemacht wie mit zwei Strohhalmen aus einem Glas Schokomilch zu trinken. Der Journalist schrieb, dass Sie Alice mit achtzehn bei einem Baseballspiel kennengelernt haben, bei dem Sie Pit cher waren und Alice Cheerleader, und zehn Jahre lang war es wahre Liebe, bis Sie Ihre Frau dann erstochen haben.
Als ich in der Schule ankam, entdeckte Lauren mich bei den Kunsträumen und kam sofort zu mir gerannt. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich etwas Aufregendes zu erzählen und hätte fast laut gelacht, als sie mich am Arm packte und in ein leeres Klassenzimmer zog. Über unseren Köpfen hingen Bilder von der Decke, und das Fensterbrett stand voller Gläser mit Pinseln. Es roch feucht, irgendwie nach Schlamm. Vielleicht der Geruch von Ton.
»Du hast das mit Max also schon mitgekriegt?«, sagte ich grinsend. Ich konnte mich nicht bremsen. »Gott, ich konnte es kaum erwarten, dir davon zu erzählen, Loz. Ich hätte dich gestern schon angerufen, aber meine Mutter hat mich gezwungen, das Klo zu putzen, und hat mir auch noch mein Handy weggenommen.«
»Ach, deshalb hast du dich nicht gemeldet! Ich hab dich ständig angerufen. Hab dir hundert Nachrichten oder so hinterlassen.« Sie hörte sich gestresst an und wirkte auch so. Ständig strich sie sich die schwarzen Haare hinter die Ohren, was nicht funktionierte, weil sie zu kurz waren.
»Was ist los?«, fragte ich langsam.
»Wird dir nicht gefallen.« Sie holte ihr Handy heraus, starrte auf das Display und zupfte an ihrer Lippe herum. »Max hat das Bild an Jack weitergeleitet«, flüsterte sie. »Und der hat es allen anderen geschickt. Allen .«
Als Lauren mir das Handy hinhielt, sank ich auf einen Stuhl, und mir wurde übel.
Ein Foto.
Von mir. Die Augen geschlossen, die Haare auf der Decke ausgebreitet, die Brüste nackt. Lauren rieb mir beruhigend die Schulter und sagte: »Jedenfalls hast du hübsche Titten.«
Richtig hübsche offenbar. Sobald ich in einen Kurs kam, pfiff irgendwer anerkennend. Jungen, die ich nicht kannte, starrten mich im Flur an, und nach der großen Pause trat mir vor der Sporthalle ein großer Typ in den Weg.
»Wo hast du dich denn so lange versteckt?«, fragte er mit einer Stimme, die so unheimlich war, dass mich schauderte.
Ich hatte mich nirgendwo versteckt. Seit drei Jahren war ich an derselben Schule in denselben Klassenräumen. Schrieb in meine Hefte. Hörte den Lehrern zu. Quatschte mit Lauren draußen auf dem Pausenhof. Doch jetzt wurde ich plötzlich im Unterricht und bei den Spinden angestarrt und in der Schulkantine dabei beobachtet, wenn ich ein Käse-Sandwich kaufte, als sei das etwas Besonderes. Etwas Interessantes.
Ich wollte schon beachtet werden, aber nicht auf diese Art. Deshalb war es ein Segen, als ich die letzte Stunde hinter mir hatte. Draußen waren dunkle Wolken aufgezogen, und es war so kalt, dass ich meinen Kragen hochschlug und im Eiltempo an den Sportplätzen vorbeihastete. Am Schultor stand Max, in einer blauen Jacke, die gut zu seiner sonnenbraunen Haut passte. Er warf einen Fußball hoch, und seine Tasche stand neben seinen Füßen. Übrigens trug er weiße Sneakers, was in der Schule verboten ist. Seine dunklen Haare waren sorgfältig gestylt und standen an der Stirn hoch. Er sah gut aus, kein Zweifel, aber das war nicht wichtig. Spielt keine Rolle, versuchte ich mir einzureden, während irgendwas in meiner Brust flatterte wie eine gefangene Kohlschnake. Ein paar Mädchen blieben stehen, um die Szene zu beobachten, während ich schnur stracks an Max vorbeimarschierte.
»Zoe! Warte!« Ich fuhr so ruckartig herum, dass ich meine eigenen Haare in den Mund bekam. Hektisch wischte ich sie mir aus dem Gesicht. Max ließ den Ball fallen, als er mein wütendes Gesicht sah.
»Wann hast du das Foto gemacht?«, fragte ich und schoss auf ihn zu, etwas behindert vom engen Rock meiner Schuluniform. Die fünf Mädchen gafften uns mit offenem Mund an. Max wich ein bisschen zurück. »Ich kann mich nicht dran erinnern, dass du ein Handy dabeihattest.«
»Hat doch jeder«, erwiderte er unbehaglich. »Und ich hab dir auch gesagt, dass ich ein Foto mache.
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