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Ketchuprote Wolken

Ketchuprote Wolken

Titel: Ketchuprote Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annabel Pitcher
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fragte ich.
    »Ist alles okay?«, flüsterte Soph.
    Mum sank auf einen Stuhl. »Sie …«
    »Was?«, fragte ich und packte Sophs Arm.
    Mum seufzte tief. »Sie hat sich das Handgelenk gebrochen.«
    »Das Handgelenk gebrochen?«, wiederholte Soph.
    » Nur das Handgelenk?«, fragte ich.
    Wir zuckten alle zusammen, als die Tür wieder aufging und Dad hereingestürzt kam, rot im Gesicht und keuchend. Er hatte den teuren schwarzen Anzug an, den er nur zu Treffen mit wichtigen Klienten oder bei Beerdigungen trägt.
    »Ich hab deine Nachricht bekommen! Was ist passiert? Wie geht es Dot?«
    »Das Handgelenk ist gebrochen.«
    »Oh, Gott sei Dank«, sagte Dad.
    »Gott sei Dank?«
    »Na, deine Nachricht klang, als … geht es ihr denn so weit gut?«
    Mum starrte zu Boden. »Es ist meine Schuld. Ich hätte auf sie aufpassen müssen.«
    »Du kannst sie nicht ständig im Auge behalten«, sagte Dad sanft. »Nicht in jedem Moment.«
    »Sie ist die Treppe runtergefallen. Wahrscheinlich ist sie über so eine Girlande gestolpert. Ich weiß nicht, weshalb sie dieses Zeug an sich hatte, aber sie ist gestolpert und … runtergefallen. Und ohnmächtig geworden. Ich hab sie nicht wach machen können, Simon, und sie lag da wie damals und hat kaum mehr geatmet und …«
    Dad ging vor Mum in die Hocke. »Es ist nicht deine Schuld, Schatz. Unfälle passieren einfach.«
    Mum atmete zittrig ein und nickte, als Dad ihr die Wange streichelte. »Wie ist es dir denn ergangen?«, fragte sie, als sie Dads Anzug bemerkte. »Glück gehabt?«
    »Bin in die Endauswahl gekommen, aber dann haben sie die Stelle dem anderen gegeben.«
    Bevor Mum etwas sagen konnte, fiel grelles Licht aus dem Flur ins Wartezimmer. Eine Schwester hielt die Tür auf, und da stand Dot, mit Schiene am Handgelenk und einer Glitzergirlande um den Hals. Soph stürzte zu ihr, fiel auf die Knie und gebärdete so schnell, wie ich es noch nie bei ihr erlebt hatte. Ich bekam nicht mit, was sie sagte, aber Dot nickte, und Soph umarmte sie, was wirklich selten vorkam. Dann hob Dad Dot hoch und drückte sie, und Mum sagte »Vorsichtig, Simon«, und dann fuhren wir nach Hause, und das kommt jetzt etwas abrupt, Stuart, aber der Kater maunzt vor der Schuppentür, und ich muss ihn mal eben hereinlassen.
    Tut mir leid, aber ich muss mich jetzt kurzfassen, weil Lloyd schnurrend auf meinem Schoß liegt und ich deshalb nicht mehr richtig schreiben kann. Der weiße Fleck zwischen seinen Ohren fühlt sich weicher an als je zuvor, und ich kraule und küsse ihn. Aber ich will schnell noch erzählen, wie ich zum Duschen meine Hand in eine Plastiktüte steckte, um Aarons Telefonnummer zu schützen, und wie ich mir im Dunkeln die Bettdecke über die Ohren zog, die Hand ans Ohr hielt und so tat, als würde ich mit Aaron telefonieren. Meine Worte sausten durch meine Adern, als seien sie Telefonkabel. Ich erklärte die Sache mit meinem Handy in Max’ Zimmer, und Aaron erklärte die Sache mit seiner Freundin, und natürlich vergaben wir uns gegenseitig und lagen da die ganze Nacht und raunten Liebesworte in unsere Handgelenke, im bleichen Schein des ganz gewöhnlichen Mondes.
    Viele Grüße
Zoe

1 Fiction Road
Bath
    20. Dezember
    Hi, Stuart,
    gestern habe ich eine Weihnachtskarte für dich gebastelt, aber keine Sorge, du bekommst keine Familie beim Truthahnessen und auch keine Lichterkette oder grinsende Schneemänner aus Glitzersteinchen. Dieser ganze Festrummel erschien mir unpassend, deshalb habe ich dir einen roten Drachen in Form eines Vogels gezeichnet, der über deiner Zelle schwebt. Die laut Google etwa so groß ist wie mein Schuppen hier, aber in deiner Zelle gibt es keine Gießkannen, Jacken oder Kisten voller Dachziegel, die einem in die Schenkel drücken, und es riecht da vermutlich auch nicht nach Dads alten Sportschuhen. In deiner Zelle gibt es gar nichts außer einem Bett mit einer sehr dünnen Matratze in der Ecke und einer Toilette am anderen Ende des Raums. Was ich nicht für sehr hygienisch halte, und ich denke, du solltest mal einen Beschwerdebrief an die Leute schreiben, die für Sicherheit und Gesundheit zuständig sind, oder vielleicht auch ein zorniges Protestgedicht.
    Letzte Woche habe ich dein Gedicht Urteil gelesen. Laut Vers zwei hast du nicht geweint, als der Richter schuldig sagte. Du hast nicht wütend aufgeschrien, als dein Bruder klatschte, und du hast keine Angst gezeigt, als man dich abführte ins Gefängnis, weil dein Geist über alldem schwebte und herabblickte auf einen

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