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Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
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Vermögen beschlagnahmt werden kann [Fer:172]. Doch Amerika braucht Enrico Fermi. Für seine Versuche reichen kirchenschiffähnliche Hallen inzwischen nicht mehr aus. Schließlich hat Leo Szilard jetzt 36 Tonnen Graphitziegel organisiert, die gestapelt werden wollen. Deshalb ist auch Herbert Anderson in diesen ersten Wochen des Jahres 1942 in New York und Umgebung auf der Suche nach einem geeigneten Gebäude. Unter anderem hat er einen Hangar inspiziert, in dem die Firma Goodyear ihre Zeppeline unterstellt [Rho:402]. Am 24. Januar allerdings hat sich dieses Problem erledigt. Arthur Compton, bibelfester Physik-Nobelpreisträger und Mitglied des Atomkomitees von Vannevar Bush, beschließt, die Plutoniumforscher und Reaktorbauer nach Chicago zu holen und unter seine Leitung zu stellen. Zur Rechtfertigung seiner missliebigen Entscheidung liest er den Umzugsunwilligen eine erhellende Passage über den Gehorsam vor Gott aus der Heiligen Schrift vor. Während Szilard den Transport seiner Graphitziegel nach Chicago planen muss, schwingt Laura Fermi in Leonia den Besen, um unter dem Kohlenstaub die Stelle zu finden, wo der Nobelschatz versteckt ist.

Kapitel 9
    KETTENREAKTION
    Max Planck plaudert mit Hans Geiger. Generalfeldmarschall Erhard Milch begrüßt die Vertreter der Auer-Gesellschaft. Auch ein paar schwarz uniformierte Herren mit dem Totenkopf an den Schirmmützen sind zu Gast. Otto Hahn spricht über das Thema, das ihn berühmt gemacht hat: «Die Spaltung des Urankerns». Und selbstverständlich steht auch Werner Heisenberg auf der Referentenliste. Die Tagung über die Zukunft des Uranvereins wird am 26. Februar 1942 nicht mehr vom Heereswaffenamt, sondern bereits wieder – wie im September 1939 – vom Reichsforschungsrat organisiert. Die Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Forschung soll sich ein Bild vom Stand der Dinge machen. Und offenbar gelingt es Heisenberg, mit seiner Vision vom «Uranbrenner» neue Begehrlichkeiten zu wecken. Er beschreibt eine wahrscheinlich haushohe Maschine, die preiswerten Strom erzeugt und im mobilen Kleinformat als Antrieb für Schiffe auf und unter dem Atlantik taugt. Vielleicht könnte man mit solchen «sehr großen, technisch verwertbaren Energiemengen in relativ kleinen Substanzmengen» [Wal 2 :375] auch bald die Reichweite der deutschen Bomber bis nach New York ausdehnen. Und als Clou des Ganzen ließe sich sozusagen aus der «Asche» des Reaktors noch ein Sprengstoff von phantastischer Durchschlagskraft herausharken.
    Andererseits setzt Heisenberg seine ganze Autorität als Physiker von Weltrang ein, um die gerade herausgekitzelte Euphorie der Militärs, die ihn jetzt unter Zeitdruck setzen wollen, mit dem Hinweis auf den großindustriellen Aufwand gleich wieder zu dämpfen. Der Spagat gelingt. Am Ende des Tages scheinen sich jetzt «nicht nur das Heer, sondern auch Marine und Luftwaffenführung für die Atomphysik zu interessieren» [Kar:86]. Ein Etappenziel ist erreicht: Der Uranverein mit seinen 22 Instituten bleibt im Geschäft, und die gefürchteten Einberufungsformulare vergilben in der Schublade. Man ist wieder unabkömmlich. Aus Otto Hahns Sicht ist der Kernreaktor gar «der Stein der Weisen, den die mittelalterlichen Alchemisten immer gesucht haben, weil sie in ihm den Schlüssel für die Umwandlung der Elemente sahen» [Hah 1 :23].
     
    Glenn Seaborg trifft am 19. April 1942, an seinem 30. Geburtstag, in Chicago ein. Im «Met Lab», dem Metallurgischen Labor der Universität von Chicago, sollen er und seine Kollegen ein Verfahren entwickeln, um Plutonium chemisch von bestrahltem Uran zu trennen – im industriellen Maßstab, versteht sich. Aber zunächst geht es nur darum, den ominösen Stoff überhaupt erst einmal zu Gesicht zu bekommen. Niemand hat ihn bisher mit bloßem Auge gesehen. Der Umgang mit ultramikroskopisch kleinen Mengen von einigen Hundertmillionstel eines Gramms erfordert einen schwingungsfreien Arbeitsraum mit einem massiven Betontisch [Rho:413]. Seaborg wird in einer ausgedienten Dunkelkammer fündig. Da es noch keinen funktionierenden Reaktor gibt, der das Plutonium ausbrütet, weicht er auf ein Zyklotron in St. Louis aus. Dort lässt er Uran viele Wochen und Monate lang rund um die Uhr bestrahlen und simuliert so eine passable Reaktorlaufzeit. In hundert Kilogramm bestrahlten Materials sind rund 0,25 Gramm des kostbaren Stoffs fein verteilt. Seaborg muss sich nun der Herausforderung stellen, das Plutonium aus einer Uranmasse

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