Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
Vom Netzwerk:
herauszulösen, die außerdem noch mit einer ansehnlichen Palette hochradioaktiver Spaltprodukte kontaminiert ist. Damit niemand zu Schaden kommt, muss das noch zu erfindende Extraktionsverfahren hinter einer meterdicken Betonmauer vor sich gehen [Ber 2 :100].
     
    In Leipzig bereitet zur gleichen Zeit Robert Döpel, Professor für Strahlungsphysik, einen neuen Versuchsaufbau vor. Wenn er ganz behutsam Uranmetallpulver in die Einfüllrohre der Aluminiumkugel schüttet, steht seine Frau Klara inzwischen mit dem Feuerlöscher daneben. Der metallische Zustand des Urans ist im Vergleich zum Oxid sehr viel energiereicher. Schon eine geringe zusätzliche Reibung zwischen Uranmetall und Rohrinnenwand genügt, um das Pulver zu entzünden, und eine Stichflamme schießt nach oben [Sca 2 :94]. Vor einem halben Jahr hat sich Döpels ahnungsloser Mechanikermeister Paschen auf diese Weise schwere Verbrennungen an der Hand zugezogen. Der Wechsel zum Uranmetall bringt für Werner Heisenberg und das Ehepaar Döpel endlich den erhofften Durchbruch. In ihrem vierten Leipziger Versuch werden erstmals mehr Neutronen erzeugt als absorbiert. Damit haben sie zwar noch keine Kettenreaktion in Gang gesetzt, aber den Nachweis für einen im Prinzip funktionierenden Uranbrenner geführt. Die Begeisterung ist groß, allerdings ist die Leipziger Alukugel mit knapp 70 Zentimetern Durchmesser noch immer eine Modellanordnung im Gegensatz zu den raumgreifenden Reaktoren, die Fermi inzwischen schon baut. Bei der Auswertung des Versuchs folgern Döpel und Heisenberg aus ihren Zahlen, dass sie für eine richtige Maschine jetzt etwa fünf Tonnen schweres Wasser und zehn Tonnen Uranmetall brauchen [Hei 4 :543]. Aber weil diese spezielle Wassersorte in einer norwegischen Fabrik noch immer nur tröpfchenweise gewonnen wird, sind sie zum Warten verdammt.
    Der Diskussionsbedarf über Atomwaffen ist in Deutschland offenbar groß, denn am 4. Juni 1942 findet bereits die nächste Konferenz für hohe Militärs und Wirtschaftsvertreter über die Zukunft des deutschen Atomprogramms statt. Im Harnack-Haus der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, wo Leo Szilard 1933 wochenlang auf gepackten Koffern saß, informieren sich dieses Mal auch der neue Rüstungsminister Albert Speer sowie ein weiterer Günstling des Führers, nämlich der Automobilkonstrukteur und «Wehrwirtschaftsführer» Ferdinand Porsche [Rho:407].
    Werner Heisenberg ist mittlerweile schon fast ein Routinier auf dem Drahtseil. Angesichts der Wendung des Kriegsglücks haben nur noch militärische Projekte, die in absehbarer Zeit zum Abschluss kommen, eine Chance auf finanzielle Förderung. Einerseits gelingt es ihm erneut, Begeisterung für die nukleare Wunschmaschine zu wecken, der Otto Hahn inzwischen schon eine mystische Dimension beimisst. Andererseits verlegt Heisenberg das Fernziel Atombombe so unerreichbar weit in die Zukunft, dass den Militärführern dämmern muss, die begehrte Waffe in diesem Krieg nicht mehr anwenden zu können. Im nächsten Augenblick aber spricht der deutsche Patriot Heisenberg erstmals über das Wettrüsten zwischen dem Uranverein und den amerikanischen Forschern und nährt so die geheime Furcht der Militärs vor dem überlegenen amerikanischen Kriegsgegner. Deutschland dürfe mit Blick auf die USA nicht auf die Entwicklung des Uranbrenners verzichten, warnt er. Man müsse, «wenn der Krieg mit Amerika noch mehrere Jahre dauern sollte, mit der Möglichkeit rechnen, dass die technische Verwertung der Atomkernenergie eines Tages plötzlich eine kriegsentscheidende Rolle spielen kann» [Kar:88].
     
    Die «Ultramikrochemiker» in Chicago haben unter der Leitung von Glenn Seaborg ihre Instrumente selbst bauen müssen: winzige Injektionsnadeln, Kapillarröhrchen und Mikromanipulatoren. Das Glanzlicht aber ist eine Waage, die aus einer einzigen Quarzfaser besteht. Um sie vor dem geringsten Luftzug zu schützen, wird sie in einem Glashäuschen aufgehängt. Die Waagschale ist aus einem Schnipsel Platinfolie geformt. Sie ist an einem Ende der Faser befestigt und mit bloßem Auge gerade noch zu erkennen. Das Gewicht der Mikromengen wird indirekt nach dem Krümmungsgrad der Faser ermittelt [Rho:413].
    Die ersten Sperrholzkisten mit 270 Pfund des bestrahlten Urans aus dem Zyklotron in St. Louis treffen im Juli 1942 mit einem Lastwagen in Chicago ein. Es sind gelbe Blöcke, die wie Steinsalz aussehen. Um ihre starke Strahlung abzuschirmen, ist die Ladung mit Bleiziegeln abgedeckt. Zwei

Weitere Kostenlose Bücher