Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
der wichtigsten Beiträge von Studenten stammen, die kaum älter als 24 Jahre sind.
Und dann lernt Oppenheimer in Cambridge Niels Bohr persönlich kennen, der ihn in ein Gespräch über Physik und Philosophie verwickelt. Diese Begegnung bestärkt ihn in seinem Wunsch, sich als theoretischer Physiker zu etablieren. Innerhalb weniger Monate veröffentlicht der 22-Jährige zwei Arbeiten über quantenmechanische Themen. Als Max Born im Frühjahr 1926 Cambridge besucht, hat Oppenheimer die Winterdepression abgeschüttelt. Der Leiter des Instituts für Theoretische Physik in Göttingen ist fasziniert von der vielschichtigen Persönlichkeit des jungen Amerikaners und dessen Umgang mit theoretischen Problemen, an denen Born selbst gerade arbeitet. Er lädt Oppenheimer nach Göttingen ein und bietet ihm an, bei ihm zu promovieren. Die Zeit der Selbstzweifel und Unzufriedenheit in Thomsons Labor ist endlich vorbei.
Eine hochherrschaftliche Villa aus Granit, umrundet von einem parkähnlichen Garten in Nachbarschaft der Sternwarte, in der Carl Friedrich Gauß Keplers Werk fortführte: Oppenheimers Domizil in Göttingen ist Welten entfernt von seiner schäbigen Bude in Cambridge. Besitzer des Anwesens ist ein Arzt, der während der Inflationszeit sein Vermögen und die staatliche Zulassung als Mediziner verlor. Nun vermietet er Zimmer an wohlhabende Studenten, Familienanschluss inklusive. Das ideale Ambiente für Robert Oppenheimer, um seine Deutschkenntnisse in gepflegten Gesprächen zu vertiefen. Er staunt über die Bitterkeit, die blanke Existenzangst und die Wut der Menschen auf die Politik der Weimarer Republik. Die Folgen des verlorenen Krieges sind acht Jahre nach der Kapitulation noch immer nicht bewältigt. Mag die Welt auch zwischen 1924 und 1929 von den Goldenen Zwanzigern schwärmen – sie sind nur für eine hauchdünne Schicht ewig Reicher, Krisengewinnler und Künstler wirklich glanzvoll.
Im Spätsommer 1926 nimmt Robert Oppenheimer an Borns Seite den Platz ein, den Werner Heisenberg und Pascual Jordan vor ihm ausfüllten. An diesem Institut haben im vergangenen Jahr genau diese drei Männer die Quantenmechanik aus der Taufe gehoben. Oppenheimer ist im Zentrum der Theoretischen Physik angekommen. Im Frühjahr 1927 lernt er schließlich auch Werner Heisenberg kennen, der auf einer Reise nach Kopenhagen in Göttingen Station macht. Oppenheimer ist beeindruckt von Heisenberg, der ihm beiläufig eine Anregung gibt, wie man mit Hilfe der neuen Atomtheorie womöglich die Beschaffenheit von Molekülen erklären könne.
Robert Oppenheimer beherrscht bereits Latein, Griechisch, Französisch, Spanisch und Deutsch. Jetzt lernt er Italienisch, um Dante im Original lesen zu können, ohne allerdings seine Aufgaben am Institut zu vernachlässigen. Stets fühlt er sich von dem Ehrgeiz getrieben, auf möglichst vielen Gebieten zu brillieren. Dieser Doktorand von Born beschränkt seine Gespräche in den Kneipen und Cafés nicht auf Elektronengeschwindigkeiten, nukleare Schwingungen und die Anomalien von Spektrallinien. Zu großer Form läuft er erst auf, wenn er mit seinen typischen ausladenden Schritten auf atemlosen Spaziergängen um den Stadtkern Göttingens über Höllenkreise, Sündenstufen und die Strafen für Sodomie in Dantes Divina Commedia dozieren kann. Wenn er vor den verblüfften Deutschen mit seinem breiten amerikanischen Akzent Hölderlin strophenweise aus dem Gedächtnis zitiert. Seine Zuhörer mit düsteren Andeutungen über Marcel Prousts Ansichten zu seelischer Grausamkeit schockiert. Oder die archetypische Mutter-Sohn-Verstrickung als unausweichliches Dilemma der menschlichen Psyche ausmalt. Der gleichaltrige deutsche Physiker Walter Heitler erlebt, wie Oppenheimer mit befreundeten Paaren in einem Göttinger Café sitzt. Plötzlich kriecht er unter den Tisch und beginnt zu bellen [Pai:12].
Die Diskussionsfreudigkeit des ausgewiesenen Snobs nimmt zuweilen peinliche Ausmaße an. Aus seinem Überlegenheitsgefühl heraus macht er es sich zur Gewohnheit, seine Kommilitonen in Borns Seminaren und Vorlesungen unangemessen scharf zu kritisieren. Wenn sie an der Tafel Fehler machen, steht er ungefragt auf, schnappt sich ein Stück Kreide und korrigiert den Vortragenden. Selbst wenn es keine Fehler zu entdecken gibt, weiß Quälgeist Oppenheimer mit Sicherheit eine bessere Lösungsmethode. Schließlich formulieren die Studenten einen schriftlichen Protest und drohen mit einem Boykott der Veranstaltungen, wenn
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