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Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
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Paraffinprotonen verantwortlich.
    Als James Chadwick im Januar 1932 den Aufsatz der Franzosen liest, ahnt er des Rätsels Lösung. Gammastrahlen mögen zwar leichte Elektronen aus der Bahn werfen, aber Protonen leisten erheblich größeren Widerstand, da sie fast 2000 Mal schwerer sind. Traf die Beobachtung der Joliots zu, dann wäre es so, als schleuderte man eine Boulekugel gegen einen Granitfindling und ginge davon aus, dass der Stein 20 Meter weit durch die Luft fliege. Chadwick weiß: Nur ein Teilchen mit der ungefähren Masse eines Protons ist in der Lage, auch ein Proton aus dem Paraffin herauszulösen und fortzuschleudern. An dieser Stelle könnte tatsächlich das elektrisch neutrale Teilchen ins Spiel kommen, das Ernest Rutherford vor fast 12 Jahren vorhergesagt hat und dessen Masse mit der des Protons übereinstimmen soll. Offenbar ist den Joliots gar nicht bewusst, dass Rutherfords These in die Interpretationslücke passen könnte. Und so stürmt Chadwick, mit der Zeitschrift Comptes Rendus in der Hand, in Rutherfords Büro und berichtet ihm von der Neuigkeit aus Paris. Zum ersten Mal seit 20 Jahren, so erzählt Chadwick, habe er seinen Mentor tatsächlich einen Augenblick lang sprachlos erlebt.
    Die Umstände sind also günstig, um endlich die Existenz eines neutralen Teilchens zu beweisen. Im Cavendish-Labor ist nämlich gerade eine üppige Lieferung gebrauchter Radongasampullen von der amerikanischen Johns Hopkins University eingegangen. Und nachdem Chadwick die nicht ganz ungefährliche Abscheidung des Poloniums gelungen ist, kann er, mit einer plausiblen Hypothese im Hinterkopf, diese ominöse «Berylliumstrahlung» selbst untersuchen. Die Alphateilchen aus seiner Poloniumquelle lösen im Beryllium die erwartet starke Strahlung aus. Chadwick testet aber nicht nur ihre Wirkung auf Paraffin, sondern stellt auch Zielobjekte mit einem guten Dutzend anderer Elemente wie Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff hinter dem Berylliumpräparat auf. Sogar eine zwei Zentimeter starke Bleischicht ist kein Hindernis für die Strahlen. Doch unabhängig von der Beschaffenheit des Materials, wird stets die gleiche Anzahl von Protonen aus den Elementen herausgeschlagen. Diese Kollisionen sind tatsächlich so energiereich, dass Gammastrahlen als Verursacher keinesfalls in Frage kommen. Chadwick ist überzeugt: Was die Kollegen als mysteriöse Strahlung des Berylliums gedeutet haben, ist in Wahrheit ein Teilchenstrom. Diese aus dem Beryllium herausgelösten Teilchen kollidieren mit den Protonen der dahinter stehenden Ziele. Aus den Messwerten dieser Kollisionen berechnet Chadwick die Masse des unbekannten Teilchens. Sie ist mit der Protonenmasse nahezu identisch.
    Und auch die zweite Vorhersage Rutherfords kann Chadwick bestätigen. Die neuentdeckten Teilchen durchdringen mühelos die unterschiedlichsten Materialien. Sie werden von den elektrischen Ladungen der Atomkerne und der Elektronen nicht abgelenkt. Und das bedeutet: Sie müssen elektrisch neutral sein. James Chadwick hat also nach zehn Jahren vergeblicher Suche mit einem furiosen Endspurt im Februar des Jahres 1932 das sagenhafte neutrale Teilchen tatsächlich gefunden. Er nennt es «Neutron». Ziemlich erschöpft und schon ein wenig beschwipst, verkündet er vor den aufgeregt herbeigeeilten Mitarbeitern des Cavendish-Labors seine bedeutende Entdeckung. Der englische Physiker und Schriftsteller C. P. Snow ist Augenzeuge der Rede gewesen. Zum Schluss soll Chadwick gesagt haben: «Jetzt möchte ich chloroformiert werden und zwei Wochen lang schlafen» [Rho:158]. Doch der Wunsch nach Ruhe bleibt unerfüllt, denn Chadwicks Entdeckung ist eine Sensation, ein großer Durchbruch, der überall auf der Welt heftig diskutiert wird. Die Experimentalphysiker hoffen, mit diesem neuen, durchdringenden Geschoss tiefer in den Kern vorzustoßen als bisher, weil sich das Neutron von den elektrischen Barrieren im Atom nicht beeindrucken und zurückstoßen lässt. Wer weiß schon, was sich im Kern noch alles verbirgt.
     
    Zu Ostern 1932 hat sich im Kopenhagener Institut von Niels Bohr eine illustre Gesellschaft zur Frühjahrskonferenz versammelt. Die deutschen Gäste stehen unter dem Eindruck von Goethes hundertstem Todestag. Und so wollen ein paar übermütige Amateurdramatiker unter ihnen einige Passagen von Goethes «Faust» als Parodie auf die Bühne bringen. Kaum eine Berufsgruppe eignete sich wohl besser zur Interpretation des Faust’schen Mottos «Dass ich erkenne, was

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