Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
weiteres Glanzlicht auf, als er ernsthaft bei einem Berkeley-Professor Sanskrit zu studieren beginnt, um die Bhagavadgita , die Heilige Schrift der Hindus, im Original lesen zu können. Es ist bereits die achte Sprache, die er lernt.
Den nächsten Chrysler, den ihm der Vater drei Jahre später spendiert, nennt er Garuda . Das ist der hinduistische Vogelgott, der Vishnu, den Erhalter der kosmischen Ordnung, durch die Lüfte trägt. Rund 580 Kilometer Luftlinie liegen zwischen Berkeley und Pasadena in Südkalifornien. Während Oppenheimer die Wintersemester in Berkeley lehrt, bringt ihn sein Garuda jedes Frühjahr nach Pasadena, da er auch am dortigen California Institute of Technology einen Lehrauftrag hat. Seine begabtesten Studenten folgen ihm «wie ein Kometenschweif überallhin» [Hof 2 :42]. Er lässt sie an seinen Rennfahrkünsten teilhaben und lädt sie großzügig in teure Restaurants ein. Sie ahmen seine Art zu sprechen nach, imitieren seine Gesten, wechseln ihre Zigarettenmarken und rauchen nur noch Chesterfield – wie der Meister. Aber nicht jedem gelingt auch Oppenheimers Kunststück, mit der Spitze des kleinen Fingers die Asche direkt vom Glutkegel zu streifen [Kel:67]. Unter den Jüngern ist sogar Tschaikowskis Musik verpönt, weil Oppenheimer sie nicht mag.
Bei seiner Ankunft in Berkeley im Spätsommer 1929 bezieht Oppenheimer zunächst ein Zimmer im Fakultätsclub und freundet sich mit einem Experimentalphysiker an, der auf demselben Flur im Zimmer gegenüber wohnt. Ernest Orlando Lawrence ist drei Jahre älter als Oppenheimer, norwegischer Abstammung und hat sich bereits einen Namen als begnadeter Techniker gemacht. Er denkt über eine Maschine nach, die Rutherfords umständliche Methode des Atomkernbombardements ersetzen könnte. Zwar hat Hans Geiger mit seinem enorm verbesserten elektrischen Zählapparat den Physikern das mühselige Auszählen der Szintillationen erleichtert, aber die Grenze der Effektivität ist längst erreicht. Denn je schwerer die Elemente sind, desto mehr elektrisch geladene Protonen tummeln sich im Kern. Und mit der Zunahme der Ladung gelingt es Rutherfords Alphateilchen aus Radium- und Poloniumquellen nicht mehr, die elektrischen Barrieren des Atomkerns zu durchbrechen. Die Alphateilchen prallen einfach von ihm ab.
Lawrence hat nun einen ganz neuen Ansatz im Sinn. Er tüftelt an einem Verfahren, leichte Atomkerne in einem starken elektromagnetischen Feld zu beschleunigen. Theoretisch sollten die Kernteilchen dabei Energien von rund einer Million Elektronenvolt erreichen. Mit einem solchen hochenergetischen Teilchenstrahl, so überlegt Lawrence, müsste er eigentlich auch die Kerne der schwereren Elemente, die Rutherford mit seiner Technik bisher nicht geknackt hat, zertrümmern können. Robert Oppenheimer wird Zeuge, wie sein Wohnungsnachbar und Freund Ernest schließlich Protonen in eine vielfach umgebaute und verbesserte Vakuumkammer schießt und sie mit einem Elektromagneten von zwei Tonnen Gewicht in eine spiralähnliche Bahn zwingt, in der sie hundert Umläufe absolvieren müssen. Dabei werden sie mit jeder neuen Runde auf immer höhere Geschwindigkeiten beschleunigt, wobei auch ihre Energie zunimmt. Dann werden sie zu einem effizienten Strahl gebündelt und auf ein Ziel gerichtet. Ernest Lawrence hat das Prinzip des «Zyklotrons» gefunden.
Lawrence rechnet aus, dass die Intensität des Teilchenstrahls, den er in seiner Maschine erzeugt, einer Strahlenquelle von rund fünf Kilogramm Radium entspricht – eine Menge, die man aus sämtlichen Uranvorräten dieses Planeten wohl nie gewinnen könnte. Womöglich ließe sich mit seiner Erfindung tatsächlich jeder Atomkern zertrümmern und der Zugang zu einer potenziell unerschöpflichen Energiequelle freilegen. Jetzt sucht er dringend einen Finanzier für einen acht Tonnen schweren Elektromagneten.
Auch in der Haushaltsdebatte des Deutschen Reichstags kommt das Thema Atomenergie bereits im Februar 1931 zur Sprache. In den Aufzeichnungen des Protokollanten ist von einen Antrag auf Kostenzuschuss die Rede. Wissenschaftler der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft planten Versuche, so heißt es im Protokoll, «die das wichtige Problem der Zertrümmerung der Atome beträfen. Diese Frage werde in Zukunft, wenn unsere Kohlenschätze ausgingen, eine ungeheure Bedeutung erlangen, denn in den Atomen schlummerten gewaltige Energien» [Hof 1 :101]. Antragsteller und Befürworter ist kein Geringerer als der Präsident des
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