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Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
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formulieren.
    Als H. G. Wells seinen Zukunftsroman schrieb, verlegte er die Entdeckung der künstlichen Radioaktivität in das Jahr 1933. Im Herbst 1933 versucht Leo Szilard, führende Physiker und Chemiker in England für seine Idee zu begeistern. Unterdessen wundern sich Irène Joliot-Curie und Frédéric Joliot in Paris über eine seltsame Kernreaktion. Sie haben ihre legendäre Poloniumkanone vor einer dünnen Aluminiumfolie aufgebaut und Alphastrahlen auf das Leichtmetall abgefeuert. Aber statt der erwarteten Protonen fliegen Neutronen und andere Teilchen aus den bombardierten Aluminiumkernen heraus. Als Frédérick Joliot die Poloniumquelle entfernt, gibt die Aluminiumfolie zwar keine Neutronen mehr ab. Doch stellt er verblüfft fest, dass der Geigerzähler weiter mit seinem typischen harten Klicken reagiert. Und das kann nur bedeuten: Im angeregten Aluminium findet ein radioaktiver Prozess statt. Die Aluminiumkerne wandeln sich zu radioaktiven Phosphorkernen um, die in der Natur nicht vorkommen. Sie haben eine Halbwertszeit von rund drei Minuten und verwandeln sich ihrerseits zu stabilen Silizium-30-Kernen. Dabei geben sie die Teilchen ab, die der Geigerzähler registriert. Traumwandlerisch ist das Forscherpaar auf eine Methode gestoßen, radioaktiven Zerfall, der bisher stets als natürlicher und von Menschenhand nicht beeinflussbarer Prozess galt, künstlich herbeizuführen.
    Voller Stolz führt Irène Joliot-Curie ihrer berühmten Mutter den Versuch vor. Beim Klicken des Geigerzählers vor der Aluminiumfolie wird Marie Curie gewusst haben, dass dieses monotone Geräusch Musik in den Ohren ihrer Tochter sein muss, die Ouvertüre zur Nobelpreisfeier. Sie selbst wird das an die Joliots gerichtete Telegramm aus Stockholm nicht mehr zu Gesicht bekommen. Als bisher einziger Mensch hat sie zweimal in ihrem Leben diese höchste Auszeichnung erhalten – eine einzigartige Würdigung der außergewöhnlichen Forscherin. Wenige Wochen nach der grandiosen Entdeckung ihrer Tochter im Institut du Radium wird Marie Curie bettlägerig und stirbt am 4. Juli 1934 in einem schweizerischen Sanatorium an einer rätselhaften Blutkrankheit, die von den Ärzten als Folge des exzessiven Umgangs mit radioaktiven Stoffen gedeutet wird. Sie hat in einem erbärmlichen Schuppen den Begriff Radioaktivität geprägt und einen selbstleuchtenden Stoff aus pechschwarzem Gestein befreit, der die Atomphysik entscheidend vorangebracht hat.
    Mit der Entdeckung der künstlichen Radioaktivität haben jetzt Irène Joliot-Curie und Frédérick Joliot die Vorhersage des Schriftstellers H. G. Wells zeitgenau bestätigt. Die sensationellen Nachrichten aus Paris feuern Szilards Hoffnungen in London an. Wenn es offenbar möglich ist, in einem von Natur aus stabilen Element wie Aluminium einen radioaktiven Zerfall auszulösen, der einen künstlichen Atomkern und freie Neutronen hervorbringt, ließe sich aus dieser Konstellation vielleicht ein Werkzeug zur Untersuchung von Kettenreaktionen schmieden.
     
    Als die sechzehn Jahre alte Römerin Laura Capon bei einem Ausflug mit Freunden im Frühjahr 1924 ihren zukünftigen Mann kennenlernt, trägt er einen schwarzen Anzug und einen schwarzen Filzhut, denn er trauert um seine kürzlich gestorbene Mutter. Der kleine, muskulöse Doktor der Physik stellt sich als Enrico Fermi vor. Er geht mit vorgebeugten Schultern und nach vorn gerecktem Hals, «eifriger bedacht, mit seinem Kopf voranzukommen als mit seinen Füßen» [Fer:10]. Der Ausflug endet auf einer grünen Wiese am Tiberufer, wo jemand einen aufblasbaren Fußball aus der Tasche zaubert. Unter Enricos Regie dürfen sogar die Mädchen mitspielen. Laura weiht er kurz in die Geheimnisse des Torhütens ein, behält aber seinen schwarzen Anzug auch beim Fußballspielen an. Plötzlich stürzt er, weil sich die Sohle von einem Schuh gelöst hat. Mit einer Schnur bindet er sie wieder fest und spielt umso forscher weiter.
    Fermi erweist sich als der geborene Anführer, der in der Clique bestimmt, was gemacht wird, und zu dem alle Vertrauen haben. Seine graublauen Augen strahlen Heiterkeit aus. Er denkt reiflich nach, bevor er spricht. Vielleicht klingt deshalb sein Urteil stets vernünftig und gerecht. Sein sportlicher Ehrgeiz ist enorm. Beim Wandern schultert er sich den schwersten Rucksack auf, und je steiler der Weg wird, umso besessener verfolgt er seine Absicht, alle zu überholen und weit hinter sich zu lassen. Mit seinem Freund Franco Rasetti büffelt er

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