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Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
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hat keinen wissenschaftlichen Ruf zu verlieren. Selbst eine Inspirationsquelle wie Wells’ Roman «Befreite Welt» mit seinem Atombomben-Szenario ist nicht tabu. Dank des angenehmen Lebens im Hotel Imperial kann er seine ganze Zeit in die Lösung eines Problems investieren. In kreativen Gedankenspielen verknüpft er vorzugsweise Theorien und Tatsachen aus unterschiedlichen Wissensgebieten zu manchmal aufregend neuen Perspektiven. Zwar entwickelt er selten genügend Hartnäckigkeit, um seine Thesen auch zu verifizieren, aber Rutherfords Moonshine-Provokation ist eine besondere Herausforderung. Sie stachelt seinen Ehrgeiz an. Hatte doch Rutherford bereits in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts wiederholt und temperamentvoll über die zerstörerische Anwendung der im Atomkern verborgenen Energie spekuliert und es für möglich gehalten, dass «irgendein Labortrottel» einmal den ganzen Planeten in die Luft jagen könnte. Vielleicht hat ihn inzwischen die Tatsache ernüchtert, dass rund dreißig Jahre später selbst ihm noch kein Zündmechanismus für eine Bombe oder ein Katalysator für die industrielle Nutzung eingefallen ist. Und wenn er schon gescheitert ist, wer sollte dann wohl noch reüssieren? Zu gern würde Szilard dem Nobelpreisträger Phantasielosigkeit nachweisen. Zumal Rutherford ein lebhaftes Gespräch mit ihm über dieses Thema abrupt beendet und ihn hochkant aus seinem Labor geworfen hat – zweifellos wegen mangelnden Respekts der notorischen Nervensäge vor Autoritäten.
    Als Szilard nun, etwa zwei Wochen nach Rutherfords Vortrag, die verkehrsreiche Southampton Row entlanggeht, an der sein Hotel liegt, muss er an einer Fußgängerampel warten. Im selben Moment, als die Ampel auf Grün springt, hat er sein Heureka -Erlebnis: «… plötzlich wurde mir klar: Sollten wir ein Element finden, das durch Neutronen zertrümmert werden kann und dabei zwei Neutronen abgibt, während es ein Neutron aufnimmt, dann könnte ein solches Element – vorausgesetzt, es ließe sich in ausreichender Menge anhäufen – eine nukleare Kettenreaktion in Gang setzen» [Lan:133]. Das Prinzip der Kettenreaktion hat er vermutlich der Chemie entliehen. Sein guter Freund und Landsmann Michael Polanyi ist ein Experte auf diesem Gebiet und wird ihn auf diesen Gedanken gebracht haben. Die beiden aus dem zerplatzten Kern fliegenden Neutronen würden ihrerseits wieder zwei Atome spalten, was dann doppelt so viel Energie wie beim ersten Zusammenstoß ergäbe. Zusätzlich würden dabei vier Neutronen buchstäblich herausspringen. Diese vier Neutronen spalten vier weitere Atome, was zu acht befreiten Neutronen und zu einem neuen Energieschub führt, bis im Bruchteil einer Sekunde viele Milliarden Atome zertrümmert sind.
    Nun kommt Szilards zweite Eingebung ins Spiel. Er ist der Erste, der in diesem Zusammenhang das Prinzip der «kritischen Masse» skizziert, ohne den Begriff selbst zu verwenden. Das geeignete Element müsste in ausreichender Menge vorhanden und wohl auch dicht genug gepackt sein, damit die Neutronen nicht wegfliegen, sondern nach ihrer Befreiung im Stoff bleiben und auch gleich auf ein Atom in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft träfen. Würde diese Kettenreaktion langsam genug und kontrollierbar vor sich gehen, dann stünde, so glaubt Szilard, der Menschheit eine völlig neue Energiequelle zur Verfügung und Ernest Rutherfords pessimistisches Verdikt wäre widerlegt. Fände jedoch die Freisetzung der Energie in einem plötzlichen Ausbruch statt, könnte das Atombomben-Szenario aus H. G. Wells’ Zukunftsroman «Befreite Welt» schneller Wirklichkeit werden, als der Autor es 1914 für möglich hielt.
    Die Vorstellung von kritischer Masse und Kettenreaktion als Mechanismen zur Freisetzung der Atomenergie ist zwar eine ziemlich verwegene Idee und typisch für Szilards unkonventionelles Denken, aber sie verstößt nicht gegen die Naturgesetze und ist somit keine physikalische Unmöglichkeit. Vor dem nächsten praktischen Schritt schreckt er allerdings zurück. Denn natürlich müsste er jetzt systematisch alle bekannten Elemente testen, um herauszufinden, welcher Stoff sich tatsächlich für eine Kettenreaktion eignete. Etwas Langweiligeres kann er sich kaum vorstellen. Aber ihm fällt eine Lösung ein: Er wird sich einen Finanzier suchen und dann einen Laboranten einstellen, der die Arbeit für ihn erledigt. Bis dahin könnte er eigentlich schon einmal anfangen, einen Patentantrag auf nukleare Kettenreaktionen zu

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