Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
Deutschland nie wiedersehen werden.
Bereits einen Monat nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten brennt am 27. Februar 1933 der Reichstag in Berlin, was den neuen Machthabern einen willkommenen Vorwand zur beschleunigten Verabschiedung der Notverordnung «Zum Schutz von Volk und Staat» bietet. Unter diesem zynischen Titel werden die Grundrechte außer Kraft gesetzt und die Bürger staatlicher Willkür ausgeliefert. Regimekritiker können jetzt ohne Anklage festgenommen werden – ein wegweisender Schritt zum drei Wochen später beschlossenen Ermächtigungsgesetz, das den Rechtsstaat der Weimarer Republik endgültig in eine Diktatur verwandelt. Bei nächtlichen Razzien werden Kommunisten und andere missliebige Personen im Namen des Volkes in Gefängnisse und Folterkeller verschleppt, misshandelt und manchmal auch zu Tode geprügelt. Die wenigen liberalen Zeitungen werden zensiert und bald darauf gleichgeschaltet. Mit dem «Arierparagraphen», einem harmlos klingenden «Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums» vom 7. April 1933, streben die neuen Machthaber nichts Geringeres an als die Entlassung aller jüdischen Beamten aus dem Staatsdienst.
Aus seinem Elfenbeinturm in Princeton protestiert Albert Einstein öffentlichkeitswirksam gegen die Strangulierung der politischen Freiheit, die Verfolgung Andersdenkender und den Rückfall Deutschlands in die «Barbarei». Er selbst könne unter solchen Umständen nicht mehr in Deutschland leben. Auf die staatstreuen Herren der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin wirkt Einsteins Kritik aus der Ferne wie Verrat. Sie fühlen sich von seinen deutlichen Worten offenbar in ihrem Nationalstolz getroffen. Max Planck lässt seinen Freund und Hausmusikpartner wissen, er könne nach dieser um die Welt gegangenen Erklärung nichts mehr für ihn tun. Eine Woche vor der Verabschiedung des Arierparagraphen kommt Einstein einem förmlichen Ausschluss aus der Akademie zuvor und erklärt seine Mitgliedschaft nach fast 20 Jahren für beendet. Wenige Tage später beantragt er – bereits zum zweiten Mal in seinem Leben – seine Entlassung aus der deutschen Staatsbürgerschaft.
Ende März 1933 schnappt sich Leo Szilard seine beiden Koffer, dreht den Schlüssel in der Tür um, verlässt das Harnack-Haus und setzt sich in den leeren Zug nach Wien. Am nächsten Tag, erzählt er später, sei derselbe Zug schon überfüllt gewesen und an der Grenze zu Österreich von der Polizei angehalten worden. Die Reisenden mussten aussteigen und wurden verhört. «Ich erwähne dies nur, um deutlich zu machen, dass man nicht unbedingt klüger sein muss als andere Menschen, um sich in dieser Welt zu behaupten. Man muss nur einen Tag schneller sein als die anderen» [Szi:14]. Bald schon kehrt Szilard Wien den Rücken und lässt sich in London nieder. Im Dienst einer akademischen Hilfsorganisation vermittelt er den ersten in Deutschland entlassenen jüdischen Wissenschaftlern neue Anstellungen an englischen Universitäten.
Die Osterferien 1933 empfindet Werner Heisenberg als einen «schmerzlichen Abschied vom Goldenen Zeitalter der Atomphysik» [Hei 2 :150]. Seit seinen Erfahrungen als jugendlicher Hilfssoldat in den Münchener Räterepubliken gibt er sich betont unpolitisch. Für ihn lassen sich politische Machenschaften stets auf «Geldgeschäfte» reduzieren. Davon will er sich seine Physik nicht verderben lassen. Doch die Atmosphäre der Angst und Verzweiflung, die sich seit Hitlers Machtübernahme auch an den Universitäten ausbreitet, kann er nicht länger ignorieren. Die Osterferien fallen mit den ersten Entlassungen einiger seiner besten jüdischen Freunde und Mitarbeiter zusammen. Und plötzlich geht es nicht mehr um Geldgeschäfte, sondern um rassistisch motivierte und mit geradezu religiöser Inbrunst vorangetriebene Ausgrenzungen geachteter Kollegen. War die Vorstellung von einer «jüdischen Physik» bisher nur die absurde Ansicht einer fanatischen akademischen Minderheit gewesen, so avanciert diese Parole nun zur offiziellen Staatsdoktrin. Die Relativitätstheorie darf an deutschen Hochschulen offiziell nicht mehr gelehrt, der Name Einstein nicht mehr erwähnt werden.
Der idyllische Berggasthof Mondschein in den Südtiroler Dolomiten wird im Frühsommer 1933 zum Treffpunkt der europäischen Physikerelite. Hierher hat sich Max Born mit seiner Familie zurückgezogen, um in aller Ruhe seine akademische Zukunft im Ausland zu planen. Wolfgang Pauli,
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