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Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
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des Periodensystems – etwa Lithium, Bor, Stickstoff – tut sich nichts. Erst beim Fluor, dem neunten Element, gelingt es ihm, künstliche Radioaktivität zu erzeugen. Bis zur ersten Veröffentlichung ihrer Resultate haben Fermi und sein Team mit 47 der 68 bis dahin untersuchten Elemente Erfolg gehabt. So verwandelt sich zum Beispiel bestrahltes Eisen mit der Ordnungszahl 26 in Mangan, das im Periodensystem die Nummer 25 hat. Und angeregtes Silizium (14) wird zu einem künstlichen Aluminiumkern (13). Eine auffällige Tendenz, in der Nachbarschaft zu bleiben.
    Dass der sportliche Ehrgeiz des Chefs beim Fußball und beim Wandern ebenfalls zum Gelingen der Experimente beitragen sollte, hat wohl niemand vorhersehen können. Es stellt sich nämlich heraus, dass sich manche radioaktiven Zerfallsprodukte schon nach weniger als einer Minute Lebensdauer bereits erneut umwandeln und dann nicht mehr nachgewiesen werden können. Um jedoch einen radioaktiven Prozess in dem bestrahlten Stoff belegen zu können, muss er unmittelbar nach der Bombardierung mit Neutronen vor den Geigerzähler gehalten werden. Allerdings sollte das Gerät weit genug von der Neutronenquelle entfernt aufgestellt sein, damit es nicht zusätzlich noch die Radon-Beryllium-Strahlung registriert und damit die Ergebnisse verfälscht. Dieses Dilemma lässt sich im Physikalischen Institut der Universität Rom nur so lösen, dass Bestrahlungsraum und Messraum an den entgegengesetzten Enden des Korridors im 1. Stock eingerichtet werden. Und das bedeutet: Die schnellsten Läufer in Fermis Team rasen mit dem bestrahlten Material in der Hand den Korridor entlang zu den Geigerzählern, um kurzlebige Zerfallsprodukte noch rechtzeitig identifizieren zu können. Meistens ist der Chef höchstpersönlich unterwegs, weil er sich im Sprint für unschlagbar hält. Edoardo Amaldi, der in Leipzig bei Heisenbergs Kollegen Peter Debye studiert hat, behauptet das Gleiche von sich und fordert Fermi gelegentlich zum Wettlauf auf dem Flur heraus.
    Laura Fermi schildert den Besuch eines vornehmen Spaniers im Institut, der voller Ehrfurcht «Seine Exzellenz Enrico Fermi» zu sprechen wünscht und zur Antwort bekommt: «Der Papst ist oben» [Fer:98]. Im 1. Stock kommen gerade zwei grinsende Gestalten in flatternden, beschmutzten Kitteln mit knisternder Silberfolie in den Händen und angefeuert von grölenden Mitarbeitern auf ihn zugerannt. Zum Entsetzen des Besuchers gibt sich einer der schwitzenden Sprinter im Messraum als «Seine Exzellenz» zu erkennen – ein Titel, den ihm Benito Mussolini verliehen hat und auf den er nicht unbedingt stolz ist. Das Gespräch mit dem Spanier muss zwischen den Ablesungen am Geigerzähler und einem erneuten Korridorlauf des Papstes stattfinden – ein aus freundschaftlichem Spott entstandener Titel, der Fermi viel besser gefällt.
    Enrico Fermi veröffentlicht den ersten von insgesamt zehn Aufsätzen über seine Experimente mit Neutronen im März 1934. Und im Sommer sind seine Resultate das Hauptgesprächsthema unter Physikern und Chemikern in aller Welt. Fermis Methoden werden vor allem in Dahlem aufmerksam studiert. Gegen Ende des Sommersemesters hat das Fermi-Team auch das schwerste und letzte Element auf der Tafel des Periodensystems erfolgreich mit Neutronen bombardiert. Im Uranatomkern tummeln sich 92 Protonen und 146 Neutronen. Gegen diese geballte Versammlung positiv geladener und neutraler Kernteilchen haben Alphastrahlen bisher keine Chance gehabt. Nach der Bestrahlung mit Neutronen findet Fermi erstaunlicherweise gleich fünf neue radioaktive Atomarten mit Halbwertszeiten zwischen 10 Sekunden und 90 Minuten. Seine am gründlichsten untersuchte Substanz hat eine Halbwertszeit von 13 Minuten, doch ihr lässt sich nach der chemischen Analyse kein Platz in der unmittelbaren Nachbarschaft des Urans zuweisen. Der Ausflug in die Umgebung führt Fermi allerdings nur zehn Stufen hinunter bis zum Blei mit der Ordnungszahl 82. Tiefer glaubt er nicht hinabsteigen zu müssen, da alle bisherigen Versuche mit Neutronenbestrahlung gezeigt haben, dass die aktivierten Kerne sich zumeist in das direkt darüber- oder darunterliegende Element in der Tabelle umwandeln.
    Wenn nun aber für den neuen 13-Minuten-Atomkern ein Platz unterhalb des Elements Uran mit der Ordnungszahl 92 nachweislich ausgeschlossen ist, ließe sich aus den bisherigen Erfahrungen womöglich die Schlussfolgerung ableiten, dass Fermi ein bisher unbekanntes Element mit der

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