Ketzer
»Ora pro nobis .« Einen Moment herrschte Stille, dann wurde die Tür einen Spalt breit geöffnet, und eine blasse Hand winkte mich hinein.
Ich schlüpfte durch den Spalt in einen schmalen Gang, der nach schalem Essen roch, also wohl längs der Schänkenküche verlief. Anhand seiner Größe schätzte ich, dass es sich bei dem Mann, der mich eingelassen hatte, um den jungen Schankkellner Humphrey Pritchard handelte; ob er mich erkannt hatte, konnte ich nicht sagen. Er führte mich den Gang entlang, der an einer morschen Treppe endete, die sich zum oberen Stockwerk emporwand. Auf halbem Weg brannte eine Talgkerze in einem Wandhalter und erfüllte das enge Treppenhaus mit ihrem bitteren
Rauch. Hinter mir knarrten Schritte auf den Stufen. Ich beschleunigte mein Tempo und gelangte auf einen Treppenabsatz mit niedriger Decke und unebenem Boden. Mir fiel auf, dass die Fenster mit schwarzem Tuch verhängt waren, damit man den Kerzenschein von draußen nicht sah. Da ich noch immer unsicher war, wohin ich mich wenden sollte, überquerte ich den Absatz bis zum Ende, wo eine Tür halb offen stand. Ich stieß sie vorsichtig auf und betrat einen Raum voller vermummter Gestalten, die mit gesenkten Köpfen vor einem provisorischen Altar am Ende der Kammer standen, auf dem drei Wachskerzen in hohen Silberleuchtern vor einem dunklen Holzkreuz mit einer silbernen Figur des gekreuzigten Christus brannten.
Unter unseren Kapuzen verborgen musterten wir, die anderen Gemeindemitglieder und ich, uns verstohlen, obwohl alle Gesichter im dämmrigen, flackernden Kerzenschein maskenhaft wirkten, die Züge schienen verlängert, und die Augen glichen dunklen Teichen. Dann drehte sich plötzlich eine hochgewachsene Gestalt zu mir um, das Licht fiel kurz auf ihr Gesicht, unsere Blicke kreuzten sich, und ich erkannte Master Richard Godwyn, den Bibliothekar des Lincoln. Überraschung und Furcht malten sich auf seinem Gesicht ab, dann senkte er den Kopf und faltete die Hände zum Gebet. Ich fragte mich, wie viele der anderen, könnte ich sie klarer sehen, sich als Männer entpuppen würden, die ich bereits kannte. Sie schlichen im Schutz der Dunkelheit durch die schlafende Stadt, um ihr geheimes verbotenes Leben zu leben. Ich konnte nicht umhin, ihren Mut zu bewundern, obgleich ich ihren Glauben nicht länger teilte – hatte ich nicht selbst einst mein Leben riskiert, indem ich gegen die Regeln aufbegehrte, die die Behörden mir auferlegen wollten? Tat ich das nicht in gewisser Hinsicht immer noch? Als ich den Blick über die kleine Gemeinde von vierzehn Seelen schweifen ließ, überwältigte mich das Ausmaß der Aufgabe, die ich hier übernommen hatte. Ich war der Wolf im Schafspelz; jemand, der dieselbe Tracht trug wie alle anderen und dieselben Worte von sich geben würde, aber unter meinem
rechten Arm spürte ich das Gewicht von Walsinghams Börse, Geld, das ich bei mir trug, um diese hartnäckig an ihrem Glauben festhaltenden Menschen dem Gefängnis oder vielleicht gar dem Tod zu überantworten. Es war ja gut und schön für Walsingham, im Abstrakten über die Bedrohungen für das Reich zu sprechen, aber konnte diese kleine Messe wirklich als Verrat betrachtet werden? Es fiel mir schwer zu glauben, dass auch nur einer dieser ganz gewöhnlichen Männer, die sich hier versammelt hatten, um ein Ritual zu zelebrieren, das ihnen bei Todesstrafe verboten war, heimlich plante, die Königin zu ermorden oder französische Truppen ins Land zu schleusen. War ihr Glaube allein Grund genug, überlegte ich, sie der Gerechtigkeit auszuliefern, wie der Kronrat sie definierte, und konnte ich das vor meinem Gewissen verantworten? Ich erinnerte mich an Thomas Allens entsetzliche Furcht vor den Verhörmethoden der Minister der Königin, denen jene unterzogen wurden, die des Verrats gegen die Krone bezichtigt wurden. Plötzlich fühlte ich mich furchtbar verwundbar, so, als stände mir meine verräterische Absicht klar und deutlich auf der Stirn geschrieben. In diesem Moment schloss sich eine Hand fest um mein Handgelenk; ich hob den Kopf und starrte in die leuchtend blauen Augen von Rowland Jenkes. Er bedachte mich mit einem harten Blick, dann nickte er mir einmal zu, was ich als Bestätigung wertete. Ein leises Lächeln spielte um seine Lippen, er gab meinen Arm frei und wandte sich erwartungsvoll zu der Tür, durch die wir den Raum betreten hatten.
Schweigen legte sich über die Menge, lautes Einatmen war zu hören, als sich die Tür langsam öffnete, und zum
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