KGI: Dunkle Stunde (German Edition)
gewesen war. Der Weg führte zu Sams Haus zurück. Waren sie ihr gefolgt? Wie hätten sie sonst wissen können, wo sie zu finden war?
Verzweifelt schloss sie die Augen. Im ganzen Jahr ihrer Gefangenschaft hatte sie sich nicht einen Moment lang damit abgefunden, dass sie sterben könnte. Sie hatte auf Ethan gewartet und irgendwie gewusst, dass er sie befreien würde. Diese Hoffnung besaß sie jetzt nicht. Er konnte unmöglich wissen, was die Männer mit ihr vorhatten. Vielleicht lebte er gar nicht mehr.
Allmählich kam sie innerlich zur Ruhe. Die lähmende Angst und die Panik ließen nach. Bisher hatte sie immer auf einen Retter gewartet, doch nun war sie auf sich allein gestellt.
Jetzt kannst nur du selbst dir noch helfen.
Ihre eigenen Worte fielen ihr wieder ein. Es war noch gar nicht lange her, dass sie das gesagt hatte. Im Nachhinein erwies sich die Bemerkung geradezu als prophetisch.
Ethan konnte ihr nicht helfen. Sie war allein.
Sie kratzte ihre Erinnerungen an die Selbstverteidigungstechniken zusammen, die Donovan und Garrett ihr beigebracht hatten. Beinahe wären sie an ihrer Ungeschicklichkeit verzweifelt. Aber den beiden hatte sie es gezeigt. Sie hatte einen Wutanfall bekommen und sie zu Boden geworfen. Trotzdem hatten sie sie nur ausgelacht und verspottet. Eine geschlagene Woche hatte sie nicht mehr mit ihnen geredet, bis sie sich mit Süßigkeiten und Geschenken wieder bei ihr einschleimten. Schließlich konnte sie die Brüder überreden, sie weiter zu unterrichten. Da Ethan so oft unterwegs war, hielt sie es für wichtig, sich selbst verteidigen zu können.
Beinahe wäre sie in hysterisches Gelächter ausgebrochen. Nur mit größter Mühe riss sie sich am Riemen und gewann die unheimliche innere Ruhe wieder zurück.
Sie musterte die beiden Männer. Der Typ neben ihr hielt immer noch ihr unversehrtes Handgelenk gepackt. Ihr rechter Arm war vermutlich gebrochen, aber was war das schon im Vergleich zu einer Kugel im Kopf?
Beiß die Zähne zusammen, Rachel. Es wird sicher nicht leicht, und höllisch wehtun wird es auch, aber kampflos ergibst du dich nicht!
Der Fahrer war nicht sonderlich groß, aber kräftig gebaut. Das Arschloch neben ihr war deutlich größer als sie, aber nicht so stämmig wie der Fahrer. Sie hatte vermutlich bessere Chancen, diesen hier auszuschalten, aber dann bliebe der Fahrer mit der Waffe übrig.
Andererseits: Wenn sie gar nichts unternahm, war sie so gut wie tot. Sollte sie bei einem Fluchtversuch sterben, käme es auf dasselbe hinaus. Sie wunderte sich, wie nüchtern sie die Möglichkeit ihres Todes in Betracht zog. Vielleicht lag es daran, dass sie schon ein Jahr lang tot gewesen war.
Sie bogen auf einen Kiesweg ein, der vom See wegführte. Der Fahrer schaltete die Scheinwerfer aus, die ganze Umgebung wurde dunkel. Nicht einmal der Mond schien, und auch die Sterne waren nicht zu sehen am bewölkten Himmel.
Was sollte sie tun? Sie brauchte einen Plan. Einen Plan? Sie wollte überleben, egal wie. Das war ihr ganzer Plan.
Wieder bogen sie ab, diesmal auf einen Feldweg, der in den Wald führte. Na super. Selbst wenn ihr die Flucht gelang, hatte sie nun keine Ahnung mehr, wo sie sich befand.
Der Wagen hielt. Sie wappnete sich innerlich gegen den Schmerz, den jede Bewegung auslösen würde. Und der Blödmann, der sie aus dem Auto zerrte, fasste sie nicht gerade mit Samthandschuhen an. Sie biss die Zähne zusammen, konnte ein Stöhnen aber nicht unterdrücken.
»Bringen wir es rasch hinter uns«, sagte der Fahrer leise. »Je schneller wir uns aus dem Staub machen, desto besser.«
Sie sah die Mündung des Laufs aufblitzen, als er die Waffe aus der Tasche zog. Jetzt blieben ihr nur noch wenige Sekunden. Aber sie war schließlich verrückt, oder etwa nicht? Jetzt konnte sie ihnen zeigen, wie verrückt sie war.
Sobald der Größere sie am Arm gepackt hatte, um sie zwischen die Bäume zu zerren, legte sie los. Sie stieß einen Schrei aus, der jede Todesfee vor Neid erblassen ließe, rammte dem Kerl das Knie in den Unterleib und stach ihm zwei Finger in die Augen. Der Mann brüllte schmerzerfüllt und krümmte sich zusammen. Sie achtete darauf, dass sein Körper zwischen ihr und dem Typ mit der Waffe blieb.
Als sie mit einem Fuß gegen einen Stein stieß, kauerte sie sich hin und tastete mit der Hand über den Boden, bis sie den Stein zu fassen kriegte. Der Fahrer zielte mit der Waffe auf sie, und sie warf den Stein. Schließlich hatte sie nicht umsonst acht Jahre lang
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