KGI: Dunkle Stunde (German Edition)
wunderschön.«
Sie schüttelte den Kopf. Diese Ausdrücke hasste sie. Mit genau den gleichen Worten hatte sie insgeheim das Wohnzimmer charakterisiert. Das entsprach ihr nicht. Fast blindlings tastete sie sich zum Bad vor. Sie dachte nur noch an Flucht.
Das Badezimmer war riesig, mit Whirlpool und separater Dusche. Die Toilette hatte eine eigene, wenn auch winzige Kabine, und an der Wand befanden sich zwei Waschbecken. Aber ihr Blick blieb am Whirlpool hängen.
Vage tauchte eine Erinnerung auf.
Wasser spritzt. Sie sitzt in der Wanne, das Wasser bis an die Brust. Ethan. Sie liegt in seinen Armen, schmiegt sich an ihn. Seine Hände umfassen ihre Brüste, die Daumen streicheln über die aufgerichteten Brustwarzen. Sie erschaudert. Dann spürt sie seine Finger in ihrem Haar, sie schamponieren ihre langen Locken.
Automatisch fuhren ihre Hände an den jetzt kurz geschorenen Kopf. Damals hatte sie die Haare länger getragen.
»Willst du mit mir zusammen baden?«, fragte sie.
Überrascht schaute er sie an, ohne etwas zu sagen. Offenbar war er sich nicht ganz im Klaren, was er antworten sollte.
»Du hast mir früher die Haare gewaschen. Ich kann mich an deine Berührung erinnern.«
Seine Augen sprühten blaue Funken, als wäre eine Gewitterfront im Anzug.
»Willst du das wirklich, Kleines? Ich möchte nichts tun, das dir unangenehm wäre.«
Sie zuckte mit den Schultern. Es machte sie verlegen, ihren Mann, ihren Ehemann , zu fragen, ob er mit ihr wieder intim sein wollte, und dieses Gefühl hasste sie.
»Ich will nur, dass du mich festhältst.«
Er zog sie an sich. Verblüfft bemerkte sie, dass er zitterte. War er ebenso hilflos wie sie? In gewisser Hinsicht musste es für ihn noch schlimmer sein. Er hatte Erinnerungen, die ihr fehlten. Er wusste, wie es gewesen war, und er würde vermissen, was sie verloren hatten.
»Setz dich aufs Bett. Ich lasse das Wasser ein, dann ziehen wir uns gemeinsam aus, okay? Mom hat dir neue Kleidung gekauft. Liegt alles auf dem Bett. Du kannst dir ja schon was für nachher aussuchen, solange das Wasser einläuft.«
Sie nickte und kehrte ins Schlafzimmer zurück. Auf dem Bett standen mehrere Einkaufstüten. Sie setzte sich und öffnete eine davon. Jeans, Oberteile, sogar Socken und ein Paar Sneakers. Auch ein Büstenhalter und mehrere Garnituren Unterwäsche fehlten nicht.
Sie wusste gar nicht mehr, wann sie das letzte Mal einen BH getragen hatte. Oder Unterwäsche.
Unwillkürlich tauchte vor ihrem geistigen Auge das Bild eines Mannes auf.
Er reißt ihr Kleidung und Unterwäsche vom Leib. Dann tritt ein anderer Mann zwischen sie und drängt den Angreifer zur Seite. Sie kauert sich nackt auf den Lehmboden, während die beiden streiten. Dann schiebt ihr Retter ihr die zerrissenen Kleidungsstücke hin, bis auf die völlig zerfetzte Unterwäsche.
Diese Szene war ihr eben erst wieder eingefallen. Der Angreifer war tot. Und der Retter? Wer war er, und warum hatte es ihn gekümmert, was der andere mit ihr anstellte?
Nervös zog sie ein Spitzenhöschen und einen BH aus der Tüte, der ihr für ihre kleinen Brüste zu groß vorkam. Wie würde sie darin aussehen? Sie war abgemagert. Plötzlich erschien ihr die Vorstellung, gemeinsam mit Ethan ein Bad zu nehmen, nicht mehr allzu verlockend.
Sie drückte die Kleidung an sich und wartete mit wachsendem Unbehagen darauf, dass Ethan wieder aus dem Bad kam. Kurz darauf stand er in der Tür, offensichtlich nicht weniger angespannt als sie.
»Der Whirlpool wäre so weit. Bist du bereit?«
Sie stand auf und blickte ihn an. »Vielleicht sollte ich zuerst reingehen. Könntest … könntest du ein paar Minuten warten, bis ich in der Wanne bin, und dann nachkommen?«
»Aber sicher, Kleines. Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst.«
Auf seine einladende Geste hin ging sie hinein, und er schloss die Tür hinter ihr. Die Kleidungsstücke legte sie auf die Ablage bei den Waschbecken. Dann schaute sie auf und sah zum ersten Mal wieder ihr Spiegelbild. Einen Moment lang war sie ganz verwirrt. Die Frau, die ihr mit weit aufgerissenen Augen voller Angst entgegenblickte, war ihr völlig fremd.
Die Haare hingen strähnig herab. Die Wangen waren eingefallen, die Knochen traten hervor. Selbst der Hals wirkte zu schmal. Ihre Schultern waren nicht sanft gerundet, sondern eckig.
Ihr Blick wanderte zu den Hüften hinunter. Knabenhaft. An ihr war nichts Geschmeidiges. Was mochte Ethan an ihr wohl finden? Hatte sie immer so ausgesehen?
Wie versteinert vom
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